Leseprobe: How to stay in the Friendzone

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Eins

Die Karte fällt zu Boden und ich sehe ihr hinterher. Filigrane Schrift auf perforiertem, cremefarbenem Papier – sicher nicht seine Idee.

Wie erstarrt stehe ich da. Unfähig, mich zu bücken und die Karte aufzuheben. Unfähig, mich zu bewegen – selbst das Atmen fällt mir schwer. Um mich zu beruhigen, umfasse ich den Anhänger meiner Kette, die ich immer trage.

Du wusstest doch, dass es irgendwann passieren könnte, hole ich mich selbst aus meiner Erstarrung.

Ja, ich wusste es. Tief in meinem Inneren wusste ich es, habe es aber erfolgreich verdrängt, wie ich alles verdrängt habe – besonders ihn.

Wieso schickt er mir überhaupt eine Einladung zu seiner Hochzeit? Es ist ja nicht so, als wären wir noch befreundet – nicht wirklich zumindest.

Nicht so, wie ich eine Freundschaft definiere: Sie basiert auf Vertrauen. Ein Freund ist jemand, auf den man sich immer verlassen kann. Auch in stürmischen Zeiten bietet er einen sicheren Hafen. Ein Freund weiß immer, wann er da sein muss, auch ohne, dass man sich täglich sieht oder sonst nah ist.

Ein Freund ist niemand, dessen Augenfarbe ich bis ins kleinste Detail beschreiben kann und die ich immer sehe, wenn ich meine Augen schließe. Erinnere mich nicht genau an den Geruch dieses einen Freundes, daran wie es sich anfühlt, ihn zu umarmen oder auch nur neben ihm zu sitzen. Fantasiere nicht darüber, wie sich die Haut eines Freundes anfühlt, wie er schmeckt und wie er aussieht, wenn er kommt …

Nein, ein Freund ist ein Freund. Noah ist … weit mehr als das. Aber nur ich sehe das so und genau da liegt das Problem. Er denkt, wir wären seit dem Studium befreundet, hört nicht auf, mir zu schreiben, mich anzurufen oder mich zu einem Treffen zu überreden, obwohl ich seinen Anblick kaum ertrage.

Natürlich wusste ich, dass er eine Freundin hat, wie ernst es tatsächlich zwischen den beiden ist, zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich sacke auf die Knie, nehme die Einladungskarte in die Hand und fahre mit den Fingern über die leichte Erhebung der Schrift.

Noah und Anna …

Ich zucke zusammen, als mein Handy klingelt, und erhebe mich mühsam auf die Beine. Die Karte immer noch in der Hand nehme ich mein Handy vom Küchentresen. Als würde mich das Universum verhöhnen, entdecke ich, dass ich zu einer Chatgruppe hinzugefügt wurde.

Noahs Junggesellenabschied …

Grummelnd lese ich die Nachricht von Noahs Trauzeugen Austin.

„Arschloch!“, knurre ich und werfe mein Handy auf den Küchentresen. Austin ist auch einer meiner besten Freunde und ich verstehe nicht, wieso er mir so etwas antut.

Weil er es nicht weiß, erinnere ich mich.

Seufzend greife ich wieder nach dem Handy und lese die Nachricht erneut.

A: Noah wünscht sich eine Junggessellenabschiedswoche in einem Ferienhaus mit seinen engsten Freunden.

Ich schaue mir den Link zu dem Haus an, den Austin geschickt hat, und habe das Gefühl, nicht atmen zu können. Eine ganze Woche? Na ja, fünf Tage, um genau zu sein, allerdings werde ich schon einen Tag früher anreisen und auch länger bleiben müssen, um Austin zu helfen. Aber im Ernst, eine Woche, fünf Tage davon in einem Haus mit Noah? Ein Pool und eine Sauna? Alkohol und viel nackte Männerhaut?

FAST EINE GANZE VERFICKTE WOCHE LANG?

Ja … daraus wird wohl nichts. Es wird ein Leichtes, das abzuwenden. Ich habe einfach an den abgefragten Wochen keine Zeit und damit hat es sich.

Zu schade aber auch …

Zufrieden lege ich mein Handy beiseite und koche mir einen Kaffee. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich nicht mehr viel Zeit habe, bevor ich zur Arbeit muss. Es war keine gute Idee noch vor dem Frühstück meine Post durchzugehen, aber wer rechnet schon mit so einer Bombe? Ich habe nicht mal gewusst, dass Noah sich verlobt hat, weil ich ihm und jedem anderen, der etwas mit ihm zu tun hat, erfolgreich aus dem Weg gegangen bin – allen bis auf Austin, aber wir reden nie über Noah. Das ist unsere unausgesprochene Regel.

Schnell stürze ich den doch noch sehr heißen Kaffee runter, schnappe mir meine Sachen und verschwinde aus dem Haus.

Ich gehe zu meinem geliebten Auto und mustere es. Mein Camaro ist länger nicht in der Werkstatt gewesen, obwohl ich ihn sonst optimal pflege. Aber zu dem einzigen Menschen, dem ich mein Auto anvertrauen würde, kann ich nicht mehr gehen. Wieso? Weil ich offenbar noch nie verstanden habe, was eine Freundschaft bedeutet.

Seufzend setze ich mich in meinen Camaro, als plötzlich mein Handy klingelt. Ich muss nicht mal nachschauen, wer mich anruft, und drücke einfach auf die Freisprecheinrichtung.

„Nicht dein Ernst, Coby“, meckert Austin direkt los.

„Guten Morgen“, begrüße ich ihn fröhlich und fahre mein Auto aus der Einfahrt.

„Was soll der Scheiß?“, herrscht er mich an, lässt mir aber keine Zeit darauf zu antworten. „Unser bester Freund heiratet nur einmal im Leben und du kommst nicht zu seinem Junggesellenabschied?“

„Ich habe Termine“, weiche ich aus.

„Du bist Lehrer und der Junggesellenabschied wird extra deinetwegen in den Ferien stattfinden“, bemerkt Austin.

„Ich habe schon … etwas anderes vor“, stammele ich und überlege, was ich vorhaben könnte. Meine Hände umklammern das Lenkrad, während ich angestrengt nachdenke.

„Dann schlag einen anderen Termin vor“, knurrt Austin.

„Was?“, frage ich perplex.

„Noah ist alles egal, nur eine Sache nicht“, erklärt er. „Er will dich …“

Ich verschlucke mich an meiner eigenen Spucke und huste, aber Austin fährt unbeirrt weiter fort. „…Auf seinem Junggesellenabschied um jeden Preis dabeihaben.“

Schweigend dränge ich mich durch den dichten Verkehr. Wie jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit fahre ich an der Harleigh University vorbei. Und wie jeden Tag, versuche ich nicht hinzuschauen - versuche die Erinnerungen auszublenden, die sich in mein Bewusstsein drängen wollen. Ich halte meinen Blick fest auf die Straße gerichtet und versuche krampfhaft, die beste gesundheitswissenschaftliche Universität des ganzen Landes nicht anzusehen. Sie ist der Grund, wieso Noah überhaupt nach Grand Alpena gezogen ist, zu mir in den Bundesstaat Michigan. Der Ort ist nahe am Salmo Salar River gelegen, in dem es das größte Aufkommen von atlantischen Lachsen in ganz Michigan gibt. Grand Alpena ist daher besonders für Angler der perfekte Urlaubsort und nichts für einen Menschen wie Noah. Für mich hingegen ist es der beste Wohnort, weil ich hier aufgewachsen bin – hier gehöre ich hin. Noah aber nicht. Manchmal glaube ich, dass er nur meinetwegen in der Stadt geblieben ist.

Eigentlich habe ich keinen Grund, mich zu beklagen. Ich habe einen guten Job und eine modern eingerichtete Wohnung in einer gehobenen Gegend. Es gibt nichts, das mir fehlt … bis auf diese eine Sache: Liebe.

„Da kannst du dich nicht rauswinden“, sagt Austin und mir fällt wieder ein, dass er immer noch am Telefon ist. „Nicht dieses Mal. Noah bläst die ganze Sache ab, wenn du nicht kommst.“

„Bläst was ab?“, harke ich nach und hoffe, dass es die Hochzeit ist. Allein das zeigt, dass ich nicht sein Freund bin. Ich gönne ihm sein Glück nicht, wenn es nicht bedeutet, dass er es mit mir teilt. Macht mich das zu einem schlechten Menschen?

Ganz bestimmt sogar …

„Den Junggesellenabschied“, antwortet Austin. „Er wollte erst gar keinen, aber der Gedanke seine letzten Tage in Freiheit mit dir und mir zu verbringen, hat ihm gefallen.“

„Mit dir, mir und den gefühlt hundert anderen Typen …“ Ich denke daran, wie voll die Chatgruppe ist.

„Es ist ein Junggesellenabschied“, verteidigt sich Austin.

Ich parke mein Auto auf dem Parkplatz der Salmo Salar Highschool, an der ich als Sportlehrer arbeite.

„Also, kommst du?“, fragt Austin. „Und wenn du jetzt nein sagst, dann sind wir geschiedene Leute!“

„Erpresst du mich?“, frage ich verblüfft.

„Nein.“ Er seufzt. „Ich finde einfach, du bist in den letzten Jahren kein enger Freund für Noah gewesen und es verletzt ihn sehr. Du hast nun die Chance zu beweisen, dass er dir nicht egal ist.“

Noah ist mir nicht egal. Es gibt niemanden auf der Welt, der mir wichtiger ist als er, außer … schnell schüttele ich den Kopf, um die Gedanken an ihn zu verdrängen. Ich muss an mich denken und einen Freund so von ganzem Herzen zu lieben, hat mir nie gutgetan, weil es nicht erwidert wurde – schon wieder nicht. Unerwiderte Liebe tut weh, wie die Hölle, und ich ziehe es vor, mich dem Schmerz nicht mehr auszusetzen. Aber darüber rede ich ganz sicher nicht mit Austin.

„Coby?“ Seine Stimme klingt drängend. „Bitte, ich flehe dich an.“

Ich zögere einen Moment und ohne dass ich groß darüber nachgedacht habe, gebe ich nach. Austin ist einer meiner besten Freunde – ein echter Freund, und wenn er mich um etwas bittet, werde ich es tun, auch wenn ich darunter furchtbar leiden werde. „Gut, ich bin dabei.“

Es ist nur eine Woche … was soll schon passieren?

„Juhu!“ Austin jubelt. „Ich liebe dich, Kumpel.“

„Ich dich auch.“ Ich lache.

„Welche der angebotenen Wochen soll es sein?“, fragt Austin. Ich höre das Schmunzeln aus seiner Stimme, weil er genau weiß, dass ich keine anderen Termine habe und das als Grund nur vorgeschoben war, um nicht kommen zu müssen. Was er aber nicht weiß, ist, aus welchem Grund ich Noah ausweiche, und das soll er auch nicht wissen.

„Mir egal“, gebe ich von mir, weil ich tatsächlich an allen drei Wochen noch nichts vorhabe.

„Gut. Bis dann, Arschloch.“ Austin beendet das Gespräch, bevor ich etwas erwidern kann.

Kopfschüttelnd steige ich aus meinem Auto und frage mich, was da gerade vorgefallen ist.

Habe ich etwa zugestimmt, Noah eine Woche anzuschmachten? Mich in seinen schokoladenbraunen Augen zu verlieren und mir zu wünschen, mit den Händen durch sein weiches, blondes Haar zu fahren? Meinen Blick nicht von seinem Schmollmund abwenden zu können?

Wie zur Hölle soll ich die Woche denn nur überstehen?

Zwei

„Los, los, los!“, brülle ich über den Platz und sehe erfreut dabei zu, wie die Jungs sich verausgaben. Das liebe ich an meinem Job. Den ganzen Tag treibe ich Heranwachsende zu Höchstleistungen an – inspiriere sie und forme sie. Einige der Kinder werden Großes erreichen und ich habe einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet – das fühlt sich gut an. Und das Beste ist: Sport ist meine Leidenschaft und ich verdiene mein Geld mit dem, was ich am liebsten tue.

Schon als Kind war ich sportbegeistert und das trifft auf jede Art körperlicher Betätigung zu: Ich konnte gerade laufen, da lernte ich bereits Ski fahren. Nicht mal vier Jahre alt, war ich, als ich das Schwimmen lernte. Es folgten verschiedene Kampfsportarten, als ich sechs war, und unterschiedliche Ballsportarten mit zehn.

Sport war mein Lebensinhalt und es hörte nicht auf, als ich älter wurde. Ich hatte nur ein Ziel: Ich wollte Sport zu meinem Beruf machen und arbeitete hart für einen Platz im Sportprogramm der Harleigh University.

Es war einer der schönsten Tage meines Lebens, als ich die Zusage für einen Studienplatz bekam. Natürlich glänzte ich körperlich, aber die gesundheits- und ernährungswissenschaftlichen Studieninhalte killten mich komplett.

So lernte ich Noah kennen. Bevor er zum Medizinstudium zugelassen werden konnte, war er pre-medical-ducation-Programm der Harleigh University und dafür hat er den gleichen gesundheitswissenschaftlichen Kurs belegt, wie ich.

Als ich ihn das erste Mal sah … ein Blick in seine schokoladenbraunen Augen, ein Lächeln von ihm, fühlte sich an wie ein Tritt in die Eier. Wie ein Eimer Eiswasser, der über mir ausgegossen wurde. Wie ein Schnitzel für einen Verhungernden, geschützt durch Stacheldraht. Ein wandelnder Koitus Interruptus auf zwei Beinen.

Als Sportler hatte ich immer schon mit einem Testosteronüberschuss zu kämpfen und da ich beim Training häufig von Jungs umgeben war, wurde mir schnell klar, dass Mädchen mir nicht geben konnten, was ich brauchte. Genauer gesagt, wusste ich es pünktlich an meinem dreizehnten Geburtstag, als hätte ich die Uhr danach gestellt. Die Vermutung hatte ich schon vorher, aber meiner sexuellen Orientierung sicher war ich erst an diesem Tag, als ich zusammen mit meinen Freunden im Kampfsportcenter feierte. Obwohl mein bester Freund drei Jahre älter war, ließ er sich meine Party nicht entgehen. Es reichte, dass er mich in einem freundschaftlichen Kampf auf die Matte schickte und ich sah ihn mit anderen Augen – genau wie mich selbst.

Aber Noah … das war anders und doch genauso. Als ich ihn kennenlernte, war ich in meiner Sexualität längst gefestigt und trotzdem riss er mir den Boden unter den Füßen weg. Ich wollte ihn nicht einfach nur in meinem Bett. Nein, ich mochte ihn in jeder Hinsicht – vom ersten Moment an. Scheiße, ich mag ihn immer noch.

Viel zu sehr …

„Coby!“ Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als ich die Stimme meiner liebsten Lieblingsperson höre.

„Süße“, begrüße ich meine beste Freundin Madeleine Walters. Ich hebe sie hoch und wirbele sie herum.

Maddy kreischt und ich setze sie wieder ab. „Wie stark willst du eigentlich noch werden?“, fragt sie und tastet meinen Bizeps ab, wie jeden Tag, wenn sie mich sieht.

Ich antworte nicht, aber mein Grinsen ist auch so Antwort genug. Was das Aussehen angeht, muss ich mich wirklich nicht verstecken. Mein Körper kann sich durch den vielen Sport sehen lassen und an Angeboten mangelt es mir nicht.

Maddy mustert mich einen Augenblick lang, dann zieht sie eine Augenbraue hoch. „Was ist los?“

„Verfickter sechster Sinn“, murmele ich, weil ich vor meiner besten Freundin nichts verbergen kann.

Ich habe ein Jahr nach ihr auf dieser Highschool als Lehrer angefangen und wir haben uns sofort verstanden. Maddy kennt mich gut, weil sie mich mit meiner zurückhaltenden Art nie hat durchkommen lassen. Mir wurde ihre Freundschaft praktisch aufgezwungen, und ich bin froh darüber. Nie ich selbst sein zu können, ist anstrengend, aber bei Maddy ist mein Safe Space. Bei ihr kann ich sein, wer ich bin und wer immer ich sein will.

„Noah“, errät Maddy, als ich nicht antworte und ballt die kleinen, niedlichen Hände zu Fäusten. Sie ist nur etwas über 1,50 m groß und so dünn, dass ich sie wie ein Streichholz zerbrechen könnte. Trotzdem habe ich nie jemanden erlebt, der größere Töne spuckt.

„Dieser fiese Wichser“, flucht sie, obwohl sie genau weiß, dass es nicht seine Schuld ist. Schließlich kann er für seine sexuelle Orientierung nichts. Andererseits könnte er mich einfach gehen lassen und mich nicht noch mit seiner Anwesenheit quälen. Ich habe Noah zwar nie etwas über meine Gefühle gesagt, aber Maddy denkt, dass er es trotzdem weiß.

Das merkt man doch, hat sie gemeint.

„Was hat er angestellt?“, harkt meine beste Freundin nach.

Ich antworte nicht und lasse meinen Blick stattdessen über den Sportplatz gleiten, über den die Schüler gerade ihre Runden drehen. „Geht das nicht schneller?“, brülle ich über den Platz und die Jungs ziehen ihr Tempo erneut an.

Maddy folgt meinem Blick und beißt sich auf die Lippe, um nicht laut loszulachen. „Nick kippt gleich um.“

Prüfend mustere ich Nickys knallrotes Gesicht. „Pause!“, rufe ich und die Jungs schleppen sich mühsam zu den Bänken und bedienen sich an den Getränken. Ich sehe Nicky an und merke, dass er seinem Vater jeden Tag etwas mehr ähnelt. Er hat das gleiche blonde Haar und die strahlend blauen Augen von Asher geerbt.

Asher … mein erster bester Freund, mein erstes ‚schwules Erwachen‘, meine erste große Liebe – so viele erste Male.

„Also?“ Maddy lässt mich nicht von der Angel und holt mich so glücklicherweise, von den Gedanken an ihn weg.

„Junggesellenabschied“, berichte ich und Maddy reißt erschrocken die Augen auf.

„Noah wird heiraten?“, fragt sie fassungslos.

Ich zucke mit den Schultern. „Scheint so.“

„Du musst nicht gehen, wenn du nicht willst.“ Maddy zieht mich in eine Umarmung. Ich muss mich weit herunterbeugen, damit sie ihre Arme um mich schlingen kann.

„Das sieht Austin anders“, murmele ich in ihr weiches, braunes Haar.

„Austin soll die Fresse halten.“ Maddy lässt mich los und grinst.

„Er ist einer meiner besten Freunde und hat mich um einen Gefallen gebeten.“ Ich schüttele fassungslos den Kopf, weil ich immer noch nicht glauben kann, dass ich wirklich zugestimmt habe, eine ganze Woche mit Noah zu verbringen.

„Na ja, einen Tag wirst du wohl überleben, ohne ihm die Kleidung vom Leib zu reißen.“ Maddy lacht.

„Eine Woche lang“, lasse ich sie wissen. „Oder fünf Tage …“

Maddy sieht mich geschockt an. „Was? Wer zur Hölle feiert eine Woche lang Junggesellenabschied?“

„Noah“, knurre ich.

„Fuck!“ Meine beste Freundin macht ein Gesicht, wie sieben Tage Regenwetter und ich weiß, dass es nicht gut für mich aussieht. „Wie willst du denn das schaffen?“

„Danke, für die Hilfe“, murre ich.

„Ich habe doch recht!“ Maddy zeigt vorwurfsvoll auf meinen Schritt. „Wie willst du das Teil denn verstecken?“

Ja, natürlich hat sie recht.

Mein Schwanz ist ein verräterischer Mistkerl, und ich hasse ihn. Okay, natürlich hasse ich ihn nicht, ich liebe ihn, aber er ist trotzdem ein verräterischer Mistkerl, besonders in Noahs Nähe. Das Studium war die reinste Hölle. Für mein bestes Stück waren Momente in Noahs Nähe wie Schaulaufen und ich hasse ihn dafür – beide, meinen Schwanz und Noah. Er hat eine direkte Leitung zu meinem besten Stück. In seiner Nähe bin ich wieder dreizehn Jahre alt. Meine Hormone knallen mir durch und ich verliere die Kontrolle über meinen Körper.

„Ich werde wohl öfter mal Hand anlegen müssen“, überlege ich laut.

Maddy sieht gedankenverloren über den Sportplatz und plötzlich kommt ihr eine Idee. „Es sind doch sicher noch mehr Kerle da. Du könntest dich hinter einem Mann verstecken, der dich ab turnt.“

Die Idee ist gar nicht mal schlecht, allerdings wird es schwer, Abstand zwischen Noah und mich zu bringen. Es ist egal, wie viele Leute Austin eingeladen hat und wenn er die ganze Welt einladen würde, Noah klebt an mir, wie Haare an feuchter Seife. Das war schon immer so und auch ein Grund, wieso ich ihn meide. Er genießt meine Nähe so sehr, dass ich ihn selbst mit einer Brechstange nicht von mir lösen könnte. Ständig tatscht er mich an und sitzt so nah neben mir, dass er eigentlich auf meinem Schoß Platz nehmen könnte.

Er ist ein wirklich herzlicher Mensch und seinen Freunden macht sein klettenhafter Charakter nichts aus. Da ich nicht sein Freund sein will, macht es mir aber sehr viel aus. Noah ist eine wandelnde Quälerei für mich.

„Ganz klar, Austin.“ Ich brechen in schallendes Gelächter aus und Maddy stimmt mit ein.

Austin ist für mich der am wenigsten erregende Typ, seit ich ihn kennengelernt habe. Als ich das erste Mal sah, wollte ich natürlich mit ihm ins Bett, aber inzwischen ist da nichts mehr an ihm, das mich anturnt, obwohl er sehr gut aussieht. Aber ich bevorzuge einen bestimmten Typ Mann, dem Austin nicht entspricht – dominante Männer, die sich für Götter halten und auch so aussehen.

Maddy nickt. „Stimmt, du bevorzugst schon einen bestimmten Typ Mann.“

„Ach ja?“, frage ich, weil ich gehofft habe, dass es nicht so offensichtlich ist.

Ja, Typen, die Arschlöcher sind und dich nicht verdienen“, überlegt Maddy und grinst. „Verdammt gut aussehende Arschlöcher, die meinen, ihnen gehört die Welt … und die blond sind.“

Zusammenfassend: Ich stehe auf blonde Männer, die Stärke ausstrahlen und nicht mehr als meine Freunde sein wollen.

Schweigend starren wir auf den Sportplatz, auf dem die Kids sich langsam wieder in Bewegung setzen.

„Ich habe Ash letztens getroffen“, erzählt meine beste Freundin so leise, dass ich sie kaum verstehe.

Asher … noch ein Freund, der nur ein Freund sein wollte.

Schnell schüttele ich den Kopf, um die Gedanken an ihn zu vertreiben, aber Noah kann ich nicht so leicht aus meinem Kopf verdrängen, weil er anders als Asher nicht einfach verschwindet.

Asher hat mich einfach losgelassen – Noah tut das nicht.

Wie soll ich diese Woche nur überstehen? Aber viel wichtiger: Wie soll ich mein Leben überstehen, wenn Noah jeden Zentimeter von mir in Besitz genommen hat und keinen Platz für jemand anderen lässt?

Drei

„Coach!“ Ich bin schon fast bei meinem Auto angekommen, als Nick mich einholt.

Natürlich weiß ich, dass er nichts dafür kann, aber es ist schwer, ihn auch nur anzusehen, wenn er seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Die gleichen Grübchen sind an seiner Wange zu sehen, wenn er lächelt, und sein aschblondes Haar trägt er in dem gleichen Schnitt wie Asher. Die helle Haarfarbe bringt die himmelblauen Augen, die er auch von seinem Vater hat, perfekt zur Geltung. Menschen, die Asher nicht kennen, denken immer, sein Haar wäre gefärbt, aber tatsächlich ist alles an ihm Natur.

„Ist alles okay?“, fragt Nick irritiert, weil ich ihn angestarrt habe.

„Ja …“ Ich reiße mich aus den Gedanken an seinen Vater und schenke ihm die Aufmerksamkeit, die er verdient. „Was kann ich für dich tun?“

„Ich wollte nur wissen, wie es ihnen geht …“ Nicks himmelblaue Augen tasten mein Gesicht ab und ich habe das Gefühl, dass er nach irgendetwas sucht.

„Ja, alles gut, danke“, lüge ich.

Mein Leben war schon lange nicht mehr in so einer Schieflage wie jetzt gerade. Einmal vor knapp fünfzehn Jahren, als Asher unsere Freundschaft von jetzt auf gleich beendete. Ich kam wieder auf die Beine und heilte, bis er wieder kam, um mich erneut zu zerstören. Und weil das noch nicht lustig genug war, zerschmetterte er mich ein drittes Mal.

Während ich noch versuche zu heilen, meint Noah es wäre eine gute Idee gerade jetzt heiraten zu müssen.

Als hätte ich mich noch nicht genug gegeißelt, frage ich: „Und wie geht es deinem Vater?“

„Hängt voll durch“, antwortet Nick. „HW Cars läuft total gut und er fährt ordentlich Gewinn ein, aber Dad ist irgendwie nicht mehr derselbe … dein Camaro hast du länger nicht mehr in die Werkstatt gebracht, oder?“

Weil Asher mir mitgeteilt hat, dass er mich nicht mehr sehen will, aber das erzähle ich seinem Sohn natürlich nicht. Nick hat genug durchgemacht, als dass wir ihn noch mit unserem Drama belasten müssen – wenigstens in dieser Hinsicht, sind Asher und ich uns einig.

„Keine Zeit“, lüge ich, aber Nick bemerkt es.

Er legt den Kopf schief und sieht mich prüfend an. „Alter … ich bin kein Kind mehr …“

„Genau genommen schon“, entgegne ich amüsiert und übergehe seine Anrede.

„Wie auch immer …“ Nick winkt ab. „Irgendwas läuft hier und ich will wissen, was.“

„Besser, du besprichst das mit deinem Vater …“

„Jacob … bitte, ich flehe dich an.“ Das ist das erste Mal, dass Nick mich bei meinem Vornamen nennt, was ich unpassend finden sollte, da ich sein Lehrer bin, aber um ehrlich zu sein, war das schon lange überfällig. Seit ich Nick kenne, hatte ich eine besondere Beziehung zu ihm. Weil er Ashers Sohn ist, fühle ich mich für ihn verantwortlich, obwohl mein ehemaliger bester Freund klargestellt hat, dass das nicht meine Aufgabe ist. Aber wir kennen uns, seit ich sechs Jahre alt war. Unsere Mütter waren beste Freundinnen, bis Ashers Mutter vor ein paar Jahren gestorben ist. Uns verbindet so viel mehr als nur eine Freundschaft, auch wenn er das anders sieht.

„Du weißt ja, dass dein Dad und ich viele Jahre befreundet waren … nun ja, wir sind es jetzt nicht mehr“, erkläre ich.

„Wieso nicht?“, fragt Nick.

Wieso nicht? Weil mir die Freundschaftszone einfach nicht liegt.

„Wir haben uns auseinandergelebt“, antworte ich und das ist nicht mal gelogen. Unsere Gefühle haben sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt und eine Freundschaft ist nicht mehr möglich gewesen.

„Ich glaube, du fehlst ihm …“, überlegt Nick.

„Er fehlt mir auch“, antworte ich ehrlich und seufze. „Wir müssen uns einfach daran gewöhnen … es braucht Zeit, die Wunden heilen zu lassen.“ Das rede ich mir zumindest ein. Drei Monate ist es jetzt her und tut immer noch genauso weh, als wäre die Wunde frisch. Kein bisschen ist sie verheilt, und ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen sein muss, damit ich mich endlich besser fühle.

„Grüß deinen Vater“, verabschiede ich mich von Nick und steige in meinen Camaro.

Beim ersten Mal hat es Jahre gedauert, über Asher hinwegzukommen und wirklich hinter mir gelassen, habe ich ihn nicht. Die Wunde war nicht mal verheilt, als er sie ein weiteres Mal aufriss.

Das Chaos um Asher wurde durch neue Gefühle überlagert, als ich Noah kennenlernte, von dem ich mich nun zu lösen versuche, aber er lässt mich nicht. Zwischendurch hat Asher die alten Wunden ein drittes Mal aufgerissen und zusammen mit der Hochzeitsankündigung von Noah ist das Chaos, das ich Leben nenne, perfekt.

Unterwegs nach Hause rufe ich meine Mutter an, um zu erfahren, wie der Stand der Dinge ist. Kurz bevor Asher und ich getrennte Wege gegangen sind, hätte meine Mutter fast ihr Haus verloren, in dem ich aufgewachsen bin. Es hatte Monate vorher einen Eigentümerwechsel gegeben und zugunsten einer Einkaufspassage sollte das Haus abgerissen werden.

Ich habe mich direkt an Noah gewandt. In welcher Situation wir uns auch immer befinden, wenn es darauf ankommt, können wir uns aufeinander verlassen. So sieht eine Freundschaft aus und nicht so, wie Asher denkt. Während er sich von mir abgewandt hat, war Noah für meine Mutter und mich da.

„Wie sieht es aus?“, frage ich.

„Hat er dir nichts gesagt?“, fragt meine Mutter.

„Was gesagt?“

Außer Small Talk sprechen Noah und ich kaum noch miteinander, damit ich es schaffe, die Gefühle endlich hinter mir zu lassen. Jetzt erst recht – immerhin heiratet er bald.

„Noah hat das Haus gekauft“, berichtet meine Mutter.

„Er hat mein Elternhaus gekauft?“, frage ich misstrauisch nach.

„Ja …“ Sie lacht. „Ich kann mietfrei hier leben, solange ich will.“

Ich kann einfach nicht glauben, dass er so etwas tun würde. Natürlich wusste ich, dass er Zugriff auf viel Geld hat, aber wer kauft denn ein Haus, um seinem Freund zu helfen, der keiner mehr ist?

„Was auch immer da los ist, Jakob, du solltest darüber nachdenken, ob es das wert ist.“ Sie seufzt. „Erst Asher und nun Noah … was machst du nur?“

„Wieso ist es meine Schuld, wenn ich mich verliebe?“, frage ich wütend, weil sie schon wieder mit diesem Thema anfängt.

„Es ist nicht deine Schuld, Jakob“, beschwichtigt sie. „Aber die Jungs leiden, wenn du weiter wegrennst.“

„Asher hat sich von mir abgewandt“, erinnere ich sie.

„Nicht wirklich … wenn er so leidet“, widerspricht meine Mutter. „Wieso läufst du lieber weg, anstatt herauszufinden, was mit ihm los ist? Und Noah … tut mir leid, Jakob, aber ich verstehe nicht, wieso du ihn meidest.“

„Ich muss Schluss machen, Mama.“ Bevor sie Einwände erheben kann, beende ich das Gespräch.

Weglaufen … das ist tatsächlich mein großes Laster, wenn es schwierig wird. Ich fühle mich schnell erdrückt und überfordert. Aber aus der Situation zu fliehen, sehe ich auch als große Stärke. Es ist gut, um einen klaren Kopf zu bekommen, nur kehre ich dann nicht wieder um.

 

 

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