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Prolog
Der Boden ist vom Regen aufgeweicht, der seit Tagen nicht weniger wird. Meine Schritte verursachen schmatzende Geräusche auf dem schlammigen Waldboden. Ich lausche dem Regen, der sich seinen Weg durch die dichten Blätter der Bäume bahnt, die den Weg säumen, der mich an mein Ziel führen wird.
Nass und frierend verlasse ich den Pfad und dränge mich durch das dichte Unterholz. Meine Füße wissen noch genau, welche Stellen ich gefahrlos betreten kann und in welchen ich einsinke.
Auch, ohne dass ich die Zeit an dem Stand der Sonne ablesen kann, weiß ich, wie lange ich für die Strecke brauche.
Pfadfinderehrenwort …
Lange suchen muss ich nicht – Das muss ich nie. Ein kurzer Blick genügt und ich erkenne die Stelle. Durch den aufgeweichten Boden ist mehr und besser zu sehen, was hier versteckt ist. Jeden in meiner Position hätte das beunruhigt, aber nicht mich. Es läuft alles nach Plan.
Suchend schaue ich mich nach einer geeigneten Stelle um und entdecke einen Baum direkt gegenüber von meinem Versteck, an dem ich den ersten Hinweis befestige, aber es wird nur für mich der Erste sein. In Wahrheit ist es der Letzte, der gefunden wird, bevor das Spiel endet.
Während ich den Rückweg antrete, befestige ich immer wieder kleine laminierte Schnipsel an gut einsehbaren Stellen. Wir wollen das Spiel ja fair gestalten, nicht?
Früher habe ich Schnipseljagden geliebt. Paper Chase haben wir sie genannt. Ich lebe dieses Spiel und es spiegelt mich wider, weil es Naturverbundenheit mit kreativer Intelligenz kombiniert. Meine Leidenschaft für dieses Spiel wurde zu meiner Obsession.
Vergangenheitsform?
Weil meine Obsession durch eine neue ersetzt wurde. Ich seufze in die Stille des Waldes hinein. Obwohl meine Aufmerksamkeit ganz bei dem Spiel liegen sollte, denke ich doch nur an dich, aber nicht so, wie ich sollte, als Figur in meinem Spiel. Ich denke vielmehr an deine vollen Lippen, die oft missbilligend verzogen sind, um jeden Menschen in deiner Nähe auf Abstand zu halten. An das leise, genervte Stöhnen, das du von dir gibst, wenn dir etwas nicht passt. An deinen perfekten Körper, der, obwohl er so winzig ist und in meinen Armen verschwinden würde, eine beispiellose Stärke ausstrahlt. Ich denke an deine grünen Augen und das Feuer darin, das nur so lodert. Ich weiß, dass ich mich verbrennen werde, wenn ich mit dem Feuer spiele, aber gerade das Risiko macht es interessant für mich. Du bist wie ein Marshmallow, den man über der Flamme röstet. Ich werde mir den Mund verbrennen, aber die süße, weiche Füllung ist es wert – Du bist es wert. Dein ganzes Äußeres ist auf Abwehr gepolt. Wie eine Maispflanze, die durch das Ausströmen von Blattduftstoffen Fressfeinde abschrecken soll. Aber wusstest du, dass diese Signalstoffe auch neue Feinde anlocken können? Die Spodoptera Littoralis, besser bekannt als Baumwolleule, liebt ihre Maispflanze und genauso ist es bei dir: Deine Abwehr bewirkt das Gegenteil.
Für alles, was dich ausmacht – für alles, was du darstellst und für alles, was du getan hast, warte ich auf dich … und du wirst mir gehören … schon sehr bald wirst du dich unter mir auflösen – schreien, betteln und flehen. Deine Signalstoffe ködern mich und zwingen mich in deine Nähe. Du wedelst mit der Karotte und ich habe längst schon angebissen. Spielen wir?
Als ich den letzten Hinweis befestige, durchströmt mich ein Gefühl der Genugtuung und Erleichterung, wie immer, wenn es endlich so weit ist. Wie immer, wenn ein Spiel endet…
Und ein ganz neues Spiel beginnt …
Er
Der Polizist dreht die laminierte Karte gedankenverloren in seinen Händen hin und her. Noch immer verrät sie ihm ihr Geheimnis nicht, aber er weiß, dass die Lösung des Rätsels zum Greifen nah ist. Er spürt es. Da sein Spürsinn alleine aber nicht ausreichend ist, braucht er einen Beweis, den er einfach nicht finden will.
Nichts ist je grüner gewesen – nichts ist je schöner gewesen …
Das war der Hinweis, der ihm die Augen öffnete. Zuerst verstand der Polizist nicht, was mit dieser Aussage gemeint ist, bis er ihn das erste Mal sah. Das Grün, es stimmte, nichts ist je schöner gewesen, und er hatte plötzlich das Gefühl, dass es hierbei um so viel mehr ging. Dass die Hinweise ihm mehr sagen sollten, als nur den Fundort einer Leiche.
Sein Kollege war der Ansicht, er interpretiere da zu viel hinein und der hätte recht behalten, wenn der Polizist sich nicht die anderen Hinweise noch einmal angesehen hätte.
Das Bild ist eindeutig: Paper Chase streut Hinweise, die unweigerlich zu ihm führen. Es ist keine Schnipseljagd, die mit dem Fund einer Leiche endet – nicht vorrangig zumindest. Es ist vielmehr eine Suche nach einem lebendigen Menschen, den der Polizist längst schon gefunden hat, und doch ist das Spiel noch nicht beendet.
Rätsel über Rätsel, die er nicht versteht. Und doch deuten alle Hinweise in die gleiche Richtung. Eine Richtung, die dem Polizisten selbst erst klar geworden ist, als er das Grün gesehen hat. Das ganze Spiel dreht sich nur um eine Sache, dessen ist sich der Polizist sicher.
Wieso Paper Chase gerade ihn ausgewählt hat und was er mit ihm vorhat, diesbezüglich tappt der Polizist weiter im Dunkeln. Aber er gibt nicht auf und wird das Licht finden – koste es, was es wolle.
Ich
Ich starre auf die leeren Seiten, die sich einfach nicht füllen wollen. Keine Buchstaben, keine Worte, kein Gefühl – nur Leere.
Frustriert klappe ich meinen Laptop zu und seufze. Ich habe keine Schreibblockade, mir fehlen nur die nötigen Informationen, um mein Skript fertigzustellen. Wie ein Maler, der eine ihm unbekannte Frau zeichnen soll. Welche Haarfarbe hat sie, welche Augenfarbe, was macht sie aus und welche Eigenschaft sollte der Maler in seinem Bild auf jeden Fall einfangen?
„Wie soll ich denn ein Porträt von jemandem malen, den ich nicht kenne, über den ich nichts weiß und auch nicht weiß, wie er aussieht?“ Ganz toll, jetzt führe ich auch noch Selbstgespräche. Ich schüttele den Kopf.
„Scheiße … Ich weiß nicht mal, ob es überhaupt ein er ist“, murmele ich.
Wieso gehen alle automatisch davon aus, dass es sich bei dem Paper-Chase-Killer um einen Mann handelt? Was, wenn es eine Frau ist, oder beides, oder nichts von beidem?
Hektisch durchwühle ich die wenigen Unterlagen, die ich über ‚ihn‘ habe und kann tatsächlich nichts über das Geschlecht des Serienmörders finden.
Der Serienmörder? Wieder schüttele ich den Kopf, weil es sich um zwei Morde handelt und erst ab drei Morden von einer Serie gesprochen kann.
Die beiden Opfer waren Männer, die erschossen wurden, und wenn wir nun Gift als die Waffe der Frau annehmen, würde das die Annahme einer weiblichen Paper Chase widerlegen. Aber im Blut der Männer wurden hohe Dosen eines aus einer Pflanze gewonnenen lähmenden Mittels gefunden, was wiederum darauf hindeuten könnte, dass der Mörder eine Frau ist. Statistisch gesehen sind es eher Männer, die zu Mördern werden. Aber was, wenn uns hier etwas entgangen ist?
Schnell klappe ich meinen Laptop wieder auf und tippe meine These in das offene Dokument.
Während ich schreibe, frage ich mich, ob das Geschlecht überhaupt eine Rolle spielt. Spielt mein Geschlecht eine Rolle für meinen Beruf? Ist Mörder überhaupt ein Beruf?
Psychologen würden wohl sagen, dass das Geschlecht identitätsbildend ist – zum Glück bin ich kein Psychologe. Gelegentlich arbeite ich mit ihnen zusammen, aber ich muss keiner sein, um zu wissen, wie sie denken.
Das Klingeln meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken und da ich es in den Schlafmodus versetzt habe, kommt nur mein Notfallkontakt durch. Ich muss also nicht nachsehen, wer mich stört. Natürlich tue ich es trotzdem. Meine beste Freundin würde sonst sofort vorbeikommen und mir die Hölle heiß machen.
Ich nehme das Gespräch entgegen und Cora plappert direkt drauflos. „Riley! Ich war schon auf dem Sprung, weil ich dachte, du gehst nicht ran.“
„Ich lebe noch“, entgegne ich genervt und stöhne leise.
„Den Ton kannst du dir sparen“, schimpft Cora. „Und auch das, was du immer mit deinen Lippen machst.“
„Was mache ich denn?“, frage ich amüsiert und verziehe die Lippen. Diesen Ausdruck habe ich perfektioniert, wenn mir etwas nicht passt. Er zeugt deutlich davon, dass mir etwas missfällt, aber es noch Zeit gibt, das Verhalten anzupassen.
„Das weißt du genau“, brummt sie.
Ich wechsele das Thema. „Meinst du, Paper Chase könnte eine Frau sein?“
„Was?“, fragt sie und ich höre sie kurz nach Luft schnappen, aber sie hat mich sehr genau verstanden, was ihr Kichern anschließend unterstreicht. „Der Mörder soll eine Frau sein? Wie kommst du denn darauf?“
„Gift“, überlege ich laut. „Die Waffe der Frau.“
„Diente nur der Betäubung für den eigentlichen Mord“, gibt Cora von sich.
„Weil Männer das auch brauchen“, halte ich dagegen.
„War das alles, oder hast du auch Beweise?“ Damit hat sie mich und das weiß sie auch. Cora ist auch Wissenschaftlerin, genau wie ich. Nur ist sie anders als ich in den Naturwissenschaften ansässig und ich in den Sozialwissenschaften.
Wir lernten uns durch Zufall an der Universität kennen. Für meine abschließende Forschungsarbeit zum biologischen Geschlecht im Unterschied zum kulturellen Geschlecht brauchte ich die Meinung eines Biologen und so lernte ich Cora King kennen, die ebenfalls gerade an ihrer Abschlussarbeit saß. Wir verstanden uns direkt bestens und das hat sich bis heute nicht geändert.
„Es gibt für gar nichts Beweise“, erinnere ich sie. „Im Moment wissen wir nur, dass Paper Chase die Polizei zu den Leichen führt, ob er der Mörder ist, entzieht sich unserer Kenntnis.“
„Verteidigst du ihn etwa?“, fragt Cora, obwohl sie weiß, dass genau das meine Aufgabe ist.
„Du meinst sie?“ Ich grinse, aber meine beste Freundin kann es nicht sehen. „Im Zweifel für die Angeklagte.“
Eine lange Pause entsteht und natürlich weiß ich genau, wieso. Ihr gefällt nicht, was ich tue, aber das muss es auch nicht – es muss mir gefallen.
Schließlich seufzt Cora. „Du musst mal aus der Höhle raus! Heute Abend um acht Toxic. Ich hole dich ab!“
Sie lässt mir keine Zeit zu antworten, weil sie genau weiß, dass ich abgelehnt hätte. Ich bin ein notorischer Stubenhocker. Mir fehlt keine frische Luft und ich fühle mich auch nicht naturverbunden. Was soll das überhaupt heißen? Sofort schießen mir Bilder von nackten Menschen durch den Kopf, die Bäume umarmen.
Schnell schüttele ich den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben.
Aber gerade diese Naturverbundenheit begeistert mich an Paper Chase. Er ist so anders als ich. Die Schnipseljagden zeugen von Kreativität, wenn auch makaberer und Intelligenz. Er, wenn es denn ein Er ist, ist intelligent und gründlich. Paper Chase achtet auf jedes Detail, ist gut vorbereitet und offenbar gut organisiert. Alles Eigenschaften, die auch zu einer Frau passen würden und alles Dinge, die ich nicht bin. Chaotisch, unorganisiert, unstrukturiert sind Worte, die meinen Charakter gut umfassen.
Ich schreibe das Skript zu Ende und mache mich dann für den Abend im Toxic fertig.
Toxic. Was für ein treffender Name für einen Club, besonders für diesen Club. Früher war es mal eine Bar, die einen Schutzraum für queere Menschen bieten sollte. Inzwischen ist das Toxic zu einer Sammelbörse für schnellen, dreckigen und anonymen Sex geworden und das ist genau das, wonach ich mich sehne, obwohl ich es nie zugeben würde. Ich igele mich ein und tue so, als würde mich die Einsamkeit nicht langsam zermürben und als hätte ich keine Bedürfnisse, wie es andere Menschen haben. Aber dafür habe ich ja Cora, sie holt mich aus meinem Schneckenhaus, weil sie im Gegensatz zu mir naturverbunden ist. Sie braucht frische Luft und liebt es, draußen zu sein.
Pünktlich um acht Uhr stürmt Cora in meine Wohnung, um mich abzuholen, und mustert mich von oben bis unten. „Du willst es heute aber wirklich wissen.“ Sie grinst und streicht über das weiße Hemd, bei dem ich ein paar Knöpfe offengelassen habe.
Angewidert sieht sie dich in meiner chaotischen Wohnung um. Ich zwinkere ihr zu, schnappe mir meine Sachen und gemeinsam machen wir uns auf den Weg ins Toxic.
Schon von außen ist zu sehen, wie sich die Menschen vor dem Club drängen, was darauf hindeutet, dass es ein vielversprechender Abend werden wird.
Cora und ich drängen uns an der Schlange vorbei und begrüßen den Türsteher mit einer Umarmung.
Nachdem wir unsere Jacken an der Garderobe abgegeben haben, gehen wir an die Bar und bestellen uns Getränke. Die Musik wummert laut über unseren Köpfen und ich lasse meinen Blick durch die Menge an tanzenden Körpern gleiten.
Plötzlich halte ich inne, als ich jemand Bekanntes sehe. Missbilligend presse ich meine Lippen aufeinander.
„Was ist?“, fragt Cora und folgt meinem Blick. Ihr Gesicht nimmt einen säuerlichen Ausdruck an. „Blake Sutton … na sieh mal einer an.“
Ich drehe mich von ihm weg und wende meine Aufmerksamkeit wieder meinem Drink zu, darum bemüht, seine Anwesenheit auszublenden, aber es gelingt mir nicht, auch deshalb nicht, weil Cora nicht aufhört, ihn anzusehen. „Der Typ ist ein Arsch, aber verdammt, wieso muss er so ein Leckerbissen sein? Und seine Stimme erst.“
Ja, seine Stimme. Das ist das Hauptproblem. Dieser dunkle, verführerische Unterton jagt mir und jedem anderen regelmäßig einen Schauer über den Rücken, nicht nur wegen der Dinge, über die er spricht. Genau deshalb ist er besser als ich – ist sein Podcast erfolgreicher als meiner. Aber es sind auch die Informationen, über die Blake Sutton verfügt, die ihn erfolgreicher machen als mich. Sein Format Snippets ist regelmäßig auf Platz eins der erfolgreichsten True-Crime-Podcasts. Mein Format Morally Gray in Colorful ist hingegen nur auf dem zweiten Platz. Dabei ist mein Podcast so viel besser als seiner, zumindest dann, wenn mir nicht wieder die Informationen ausgehen. Was ich auch tue, ich komme nicht an seine Quellen. Er schützt sie mit seinem Leben und redet sich immer mit dem gleichen Argument heraus: Wenn ich meine Quellen nicht schütze, habe ich keine Quellen mehr …
Ganz Unrecht hat er damit sicher nicht. Aber wir reden hier über Paper Chase. Blake hilft der Polizei regelmäßig, aber mit den Informationen, die er hat, könnte er so viel mehr tun, als nur an der Oberfläche zu kratzen – Er könnte den Fall endlich aufklären. Der Mörder hätte längst gefunden werden können, stattdessen läuft er noch frei herum.
„Der Mann ist einfach ein Traum. Wenn er nur nicht so ein Widerling wäre.“ Cora starrt Blake noch immer an, und das gefällt mir gar nicht.
Was macht er überhaupt hier? Er sieht nicht so aus, als würde er auf schnellen, anonymen Sex stehen. Andererseits, wer steht nicht darauf?
Aber was macht er genau hier in diesem Club? Das Klientel entspricht wohl kaum seinem Beuteschema, oder ist er etwa …
„Du scheinst wohl eher sein Beuteschema zu sein“, errät Cora meine Gedanken. „Mir fehlt etwas ganz Entscheidendes, um ihn anzumachen.“
„Persönlichkeit?“, witzele ich.
„Haha.“ Cora verzieht das Gesicht. „Ich meinte eher etwas Anderes.“
Ich weiß genau, was sie meint und gehe nicht weiter darauf ein. „Das weißt du doch gar nicht. Vielleicht ist er Pan orientiert, so wie wir?“
Noch immer stehe ich mit dem Rücken zu Blake, um ihn nicht ansehen zu müssen, und nippe an meinem Drink.
„So oder so sieht er nur dich an. So wie jeder hier.“ Kaum hat Cora die Worte ausgesprochen, fühle ich mich plötzlich beobachtet. Ich kann Blakes Blicke förmlich in meinem Rücken fühlen und ein Schauer läuft über meine Haut.
Langsam drehe ich mich um und starre in seine dunkelbraunen, fast schwarzen Augen, die mich durchbohren. Sein Blick ist kalt und distanziert. Er blinzelt nicht mal, sondern schaut mit seinen Augen geradewegs in mich hinein. Da ist keine Wärme an ihm, keine Nähe, keine Liebe und ich spüre auch kein Verlangen. Da ist einfach nichts. Der Mann lässt nichts durchblicken, so wie immer, wenn ich ihm begegne.
Blake wäre ein gefundenes Fressen für jeden Psychologen. Gleichzeitig ist er aber auch ausgesprochen attraktiv. Er strahlt eine unbezwingbare Dominanz aus und seine dunkle Aura nimmt den ganzen Raum ein, was auf viele Menschen anziehend wirkt. Zumindest wenn man auf so einen Typ Mann steht, was ich nicht tue.
Ganz und gar nicht.
Schnell wende ich meinen Blick ab, was mir leichter fallen sollte, stattdessen ist es eher Zwang für mich. Wie einem gefährlichen Raubtier gegenüberzustehen, habe ich auch hier das Gefühl, ich sollte Blake im Blick behalten, um einen möglichen Angriff vorauszusehen. Nur aus diesem Grund schaue ich ihn wieder an. Aus keinem anderen Grund.
Ganz und gar nicht.
Noch immer hat er seine kalten Augen auf mich gerichtet. Er bewegt sich nicht und zeigt auch keine Regung. Das ist doch nicht normal. Wer starrt jemanden kontinuierlich an, ohne zu blinzeln oder Interesse zu signalisieren? Auf seinen perfekt geschwungenen Lippen ist kein Lächeln zu sehen – nicht mal ein falsches.
Perfekt geschwungene Lippen?
Mir gefällt nicht, in welche Richtung sich meine Gedanken bewegen. „Wir sollten besser gehen.“
„Was? Wieso?“, nörgelt Cora.
„Ich fühle mich nicht gut“, lüge ich, wobei das nicht komplett gelogen ist. Irgendetwas an Blake macht mich ruhelos und nervös.
Cora gibt sich geschlagen. Wir leeren unsere Getränke und machen uns auf den Weg zum Ausgang. Ich spüre, wie mir Blakes Blick nach draußen folgt, und mit einer Gänsehaut auf dem ganzen Körper, trete ich an die frische Luft. Tief atme ich ein und versuche mich wieder zu beruhigen.
Was zur Hölle war denn das?
Du
Siehst du nicht, wie die Insekten sich um dich reißen, Baby? Je mehr du auf Abwehrhaltung gehst, umso mehr wollen sie dich. Auch wenn du dich einigelst und versuchst deine Wirkung auf die Menschen zu ersticken, wollen sie dich umso mehr – ich will dich umso mehr und du wirst mir gehören.
Die Konkurrenz ist groß, aber ich werde sie schon ausstechen, wenn du verstehst, was ich meine …
Wusstest du, dass der eigentliche Sinn hinter den Signalstoffen der Maispflanze der ist, dass Feinde der Fressfeinde angelockt werden sollen? Du bist von Feinden umgeben, sie alle wollen von dir kosten und dich besitzen, aber ist der Feind deines Fressfeindes nicht dein Freund?
Was, denkst du, bin ich für dich, Baby? Feind, Feind deines Feindes und damit ein Freund?
Was auch immer ich für dich bin, klar ist, was du für mich bist: Mein. Du gehörst mir – mir alleine. Unnötig zu erwähnen ist, dass ich nicht teile und du damit zur Gänze mir gehörst.
Keine Sorge, Baby. Ich habe alles unter Kontrolle – es läuft alles nach Plan, auch wenn du nicht nach Plan läufst. Du bist tatsächlich die größte Unbekannte in diesem Spiel. Ein Feuer, das sich weder kontrollieren noch beherrschen lässt und doch strecke ich die Hand nach der versengenden Hitze aus, die du für mich bist.
Und alles nur deinetwegen. Du bist schuld daran, dass in mir drin eine Leere ist, die sich nach dir sehnt. Du bist keine Maispflanze, das warst du nie. Du bist eine Dionaea muscipula, eine Venusfliegenfalle, die Beutetiere in ihrem Fangblatt einsperrt und langsam zersetzt.
Ich tue gut daran, mich dir nur über mein Spiel zu nähern, sonst bin ich es, der mit allen anderen in der Falle sitzt. Wie bei einem Raubtier werde ich dich erst zähmen müssen – ein Wildpferd, das erst zugeritten werden muss. Und ich werde dich reiten, solange bis du schwitzend unter mir zusammenbrichst.
Nicht mehr lange, Baby … Freust du dich?