Leseprobe zum Buch: Die Liste - Der letzte Name

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Prolog

»Haut so weiß wie Schnee, Lippen so rot wie Blut und Haare so schwarz wie Ebenholz…« Ich lese diesen Ausschnitt aus Grimms Märchen Schneewittchen wieder und wieder. Es ist ein nettes Märchen, das ich als Kind öfter gehört habe. Nur ist es für mich so viel mehr als nur ein Märchen. Mein Schneewittchen ist Realität geworden, als ich sie das erste Mal sah. Sie ist der Inbegriff der Schönheit, der Vollkommenheit. Sie ist das Erste, woran ich morgens denke und das Letzte, an das ich denke, bevor ich schlafen gehe. In meinen Träumen bin ich ihr nahe und wenn ich wach bin, komme ich ihr so nahe, wie es möglich ist, ohne dass sie mich bemerkt. Eines Tages wird sie mir gehören. Sie wird mein sein, auf ewig.

Elizabeth

Wasser rinnt über seine muskulöse Brust und weiter hinunter. Die Tropfen, die über seine definierten Bauchmuskeln fließen, legen eine Berg- und Talfahrt hin, um am Saum des Handtuchs anzukommen, das um seine Hüfte gebunden ist. Allein der Anblick lässt mich beinahe zerfließen. Er ist nass. Genauso nass wie ich es bin, aber an einer anderen Stelle. Am liebsten hätte ich alle diese Wassertropfen abgeleckt und wäre mit meiner Zunge jeden einzelnen Muskel, jeden Hügel und jede Kuhle an seinem Körper entlanggefahren. Ich würde das Handtuch von seinem Körper reißen und mit meiner Zunge weiter nach unten wandern. Ich wäre dem Streifen aus weichem, dunkelblondem Haar gefolgt, das mir unter seinem Bauchnabel den Weg zu seinem Penis weißt. Jede einzelne pulsierende Ader würde ich mit meiner Zunge nachzeichnen und schließlich würde ich über seine geschwollene empfindliche…

»Erde an Lizzy!« Aufgeschreckt wende ich meinen Blick schnell ab.

»Was hast du gesagt?«, stammele ich.

Meine Wangen glühen und ich brauche einen Moment, um mich zu sammeln. Erst dann wage ich einen Blick in das Gesicht meines besten Freundes Wyatt Brown.

Er lässt eine Reihe perfekter weißer Zähne aufblitzen, als er mich breit angrinst. »Die Dusche ist frei.«

An seinen karamellfarbenen Augen haben sich kleine Fältchen gebildet – wie immer, wenn er lächelt. Die Fältchen verschwinden, als Wyatt sich durch die nassen, dunkelblonden Locken fährt, die sich auf seinem Kopf kringeln. Er schürzt seine vollen Lippen. Erst jetzt bemerke ich, dass ich noch immer nicht reagiert habe.

Ich nicke schnell, dränge mich an ihm vorbei ins Badezimmer und versuche dabei nicht über ihn herzufallen. Ich schließe die Tür hinter mir und lehne mich dagegen. Wyatt bringt mich noch um den Verstand. Falls überhaupt möglich, wird er mit jedem Tag heißer und ich mit jedem Tag erregter. Ich will ihn auf mir und in mir, auf jede nur erdenkliche Weise.

Aber das wird nicht passieren. Er ist seit zwanzig Jahren mein bester Freund, mein Vertrauter und mein Begleiter. Niemand ist mir so wichtig wie er und auch niemandem traue ich ansatzweise so sehr wie Wyatt. Er ist alles für mich – nur nicht mein Liebhaber. Uns hat immer schon so viel mehr verbunden, als dass wir es durch Sex kaputt gemacht hätten. Dass Wyatt und ich jede Nacht zusammen schlafen, macht es nicht gerade einfacher, besonders da Wyatt und ich immer auf eine bestimmte Weise zusammen schlafen – größtmöglicher Körperkontakt.

Alles begann vor zwanzig Jahren, als ich acht und Wyatt neun Jahre alt war. Wir lernten uns an einem der düstersten Tage unseres Lebens kennen und retteten einander in jeder der darauffolgenden Nächte, als wir eng aneinander gekuschelt schliefen. Am liebsten hätten wir uns ineinander verkrochen, um Schutz vor den Monstern unter unseren Betten zu finden. Nur waren unsere Monster nicht bloß unter unseren Betten. Sie waren real. Daher konnten wir einander nie wirklich beschützen. Trotzdem spendeten wir einander Trost und das war weit mehr, als wir sonst im Leben hatten. Der Körperkontakt hat mich zwar nie wirklich gerettet, aber doch meinen Verstand. Nur wegen Wyatt bin ich noch nicht völlig durchgedreht.

Natürlich sind wir dem Kindesalter irgendwann entwachsen und konnten nicht länger verhindern, dass unsere Körper aufeinander reagieren. Das war hart… – in vielerlei Hinsicht. Aber wir haben es geschafft, dem Druck nicht nachzugeben und einander trotzdem zu unterstützen.

Nun sind wir Erwachsen. Dadurch wird es nicht einfacher, aber besser zu Händeln, indem wir uns unverbindlichem Sex mit fremden Personen hingeben. Bei mir ist das allerdings schon eine Weile her, ist doch alles, was ich wirklich will, bis eben noch in meiner Dusche gewesen.

Als ich in die Küche komme, schiebt mir Wyatt eine Schüssel mit Strawberry-Cheesecake-Müsli über den Tresen. Ich lächele ihn dankbar an, weil das mein Lieblingsfrühstück ist.

Ich mustere Wyatt eine Weile und mir wird klar, dass er wahrhaftig der feuchte Traum einer jeden Frau ist. Aber nicht nur, weil er einfach fantastisch aussieht. Er ist zudem großzügig, liebevoll und höflich. Als Polizist bekämpft er täglich das Böse und in niemandes Nähe fühle ich mich so wohl, wie mit ihm.

Ich lehne mich an Wyatt, buchstäblich und auch sinnbildlich, weil er immer schon Halt und Zuflucht für mich war. Seufzend werfe ich einen prüfenden Blick auf das Flipchart: »Wo ist er?«

Wir liegen hinter unserem Zeitplan. Der Monat ist um und wir haben ihn immer noch nicht gefunden.

»Morgen«, sagt Wyatt und küsst mich auf den Kopf.

Ich nicke: »Ja, morgen.«

Wyatt

Das Wasser prasselt gegen die Fensterscheibe. Das schränkt meine Sicht deutlich ein, aber doch erkenne ich genug. Jeden Tag fahre ich mit meinem Dienstwagen hier vorbei. Als Polizist errege ich weniger Aufmerksamkeit. Es sollte langsam langweilig werden, weil sich mir täglich das gleiche Bild bietet. Aber es ist nicht langweilig. Es ist eher wie ein Rätsel, an dem ich seit Jahren arbeite und doch die Lösung nicht finde. Jeden Tag hoffe ich endlich einen Ausweg zu finden und doch verirre ich mich immer mehr.

Irgendjemand gibt sich extra viel Mühe, mich an des Rätsels Lösung zu hindern. Wer hindert mich daran? Das weiß ich nicht. Es gibt so vieles, das ich nicht weiß – so vieles, das ich nicht verstehe.

Wie dieses Haus, bei dem ich jeden Tag vorbeifahre. Wobei es kein Haus ist. Mein Haus ist ein Haus, aber um dieses Gebäude zu beschreiben, bräuchte ich ein anderes Wort – Villa? Nein, das wohl eher nicht. In der näheren Umgebung wird dieses Haus von allen nur das Miller-Anwesen genannt. Ich finde auch das Wort Anwesen trifft es nicht ganz. Ich habe selten ein so imposantes Gebäude gesehen. Als würde ein König hier leben – Schloss beschreibt es wohl am ehesten.

Aber hier lebt kein König. Vielmehr lebt hier niemand. Schon seit sechzehn Jahren ist dieses Schloss unbewohnt. Niemand geht hinein und auch nie kommt jemand hinaus. Na ja, nicht ganz. Einmal die Woche kommt eine Haushaltshilfe um… Tja, ich weiß nicht genau, was sie dort tut. Viel zu putzen hat sie in einem unbewohnten Schloss wohl nicht.

Auch wenn dort augenscheinlich niemand lebt, stehen trotzdem zwei schwer bewaffnete Männer vor dem Schloss – jeden verdammten Tag. Wieso bewacht ein privater Sicherheitsdienst einen Palast, der nicht bewohnt wird? Was befindet sich in diesem Schloss, das schützenswert ist und wem gehört es? Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort habe.

Die wichtigste aller Fragen ist aber: Wie zur Hölle komme ich da rein?

Die Sicherheitsmänner winken mir fröhlich zu, als ich wende und die von Bäumen gesäumte Schotterstraße, die zum Schloss führt, wieder zurückfahre. Sie können mich durch die mittlerweile beschlagene Scheibe nicht sehen. Aber die Männer wissen trotzdem, wer ich bin. Sie kennen mich schon. Gewissermaßen sind wir fast schon Freunde, weil wir uns täglich sehen. Ich habe auch schon versucht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, aber sie geben mir keine Auskunft. Ich bin nicht mal sicher, ob sie auch nur eine meiner Fragen beantworten könnten, wenn sie offen sprechen dürften. Auch die Haushaltshilfe spricht nicht mit mir.

Alle Möglichkeiten, in dieses Schloss zu gelangen, bin ich durchgegangen. Zuerst alle legalen, wie ein Durchsuchungsbefehl, den ich nicht bekomme, da mir nicht mal der Eigentümer bekannt ist.

Als alle legalen Möglichkeiten erschöpft waren, bin ich die illegalen Möglichkeiten durchgegangen, die stets mit einer Geiselnahme begonnen haben oder endeten.

Meine letzte Idee war, in das Schloss einzubrechen. Aber es wird Tag und Nacht bewacht.

Auch deshalb komme ich täglich vorbei. Ich hoffe, dass sich eine Lücke auftut. Aber selbst wenn ich eine Lücke fände, glaube ich kaum, dass ich in dieses Schloss komme, ohne Aufsehen zu erregen.

Das Miller-Anwesen erweckt den Anschein eines Geisterhauses und übt deshalb eine Faszination auf diejenigen Menschen aus, die an Übernatürliches glauben – allen voran Kinder. Sie erzählen sich, hier würden die Geister der Familie Miller ihr Unwesen treiben und glauben, die Familie sei verflucht. Ganz Unrecht haben sie damit nicht. Das Schloss müsste gerammelt voll mit Geistern sein, weil kaum eine andere Familie so viele Tote verzeichnet wie die Familie Miller. Es ist ein Glücksfall, wenn einer von ihnen seinen fünfzigsten Geburtstag erlebt.

Gegenwärtig leben nur noch drei Menschen aus dieser Familie. Wir brauchen allerdings nur diesen einen. Ohne ihn kommen wir nicht in das Schloss. Aber wir müssen da rein, um überhaupt eine Chance zu haben, ihn zu finden – eine Patt-Situation.

Jeden Tag komme ich vorbei und hoffe eine andere Situation vorzufinden. Ein Sicherheitsmann wird zum Beispiel plötzlich krank und der andere muss ihn zum Arzt bringen. Ich habe sogar schon überlegt, dafür zu sorgen, dass einer von ihnen krank wird.

Meine beste Freundin Elizabeth Walker mag zwar wie ein wunderschöner Engel aussehen, aber ihre Fähigkeiten sind teuflisch. Sie könnte einen der Männer krank machen, oder auch beide, ohne Spuren zu Hinterlassen. Aber sie kann noch so viel mehr.

Eine ihrer Spezialitäten ist es Menschen wie ihre Marionetten tanzen zu lassen – besonders Männer. Mein Leben gleicht einem Ballett und mittendrin drehe ich meine Pirouetten, obwohl mir schon ganz schwindelig ist. Ich muss mich übergeben und mir tun die Füße weh. Anhalten wäre die beste Option. Aber daraus wird nichts. Die Show muss immer weiter gehen.

Mint

Es geht zu Ende, Lou. Ich kann die Schlinge um meinen Hals schon fühlen. Fühlst du es auch? Kannst du fühlen, wie es zu Ende geht?

Ich betrachte dein friedliches Gesicht. Du schläfst neben mir im Bett. So wie jede Nacht, wenn ich es wieder geschafft habe, dich zu überreden. Dein perfekter Körper schmiegt sich an mich und ich weiß, dass du es nicht fühlst.

Aber so ist es auch besser, Lou. Du sollst nicht wissen, was auf dich zukommt. Ich habe immer gewollt, dass du ohne Sorge bist. Nichts auf der Welt habe ich je mehr gewollt als dich. Für dich tue ich alles. Ich tue wirklich alles, was ich tue, nur für dich. Du weißt das jetzt noch nicht.

Ich kann praktisch fühlen, wie sehr du mich hasst. Du willst nicht hier sein, aber du kommst auch nicht dagegen an – gegen uns. Ich spüre deinen Zwiespalt und kann es nachempfinden. Du solltest nicht hier sein, bei mir. Aber auch ich komme nicht gegen uns an.

Deshalb tue ich, was ich tue, Lou – für dich. Nicht mehr lange und wir werden endlich frei sein. Nur werden wir nie zusammen frei sein. Wir werden frei voneinander sein.

Ich streiche mit der Hand über deine weiche Haut und werde sofort hart. So ist es immer zwischen uns gewesen, Baby. Wir sind wie zwei Magneten, die einander anziehen. Wir schaffen es nicht, einander fernzubleiben. All die Dinge, die wir einander angetan haben und trotzdem liegen wir hier zusammen im Bett. Weißt du, was du mir antust, Lou?

Ich muss dich loslassen, um Deinetwillen. Du verdienst es, endlich frei zu sein.

»Kannst du nicht schlafen, Mint?«, fragst du verschlafen. Ich habe nicht mal gemerkt, dass du wach geworden bist.

»Nicht, wenn du so aussiehst«, raune ich dir zu.

Du lächelst mich an und ich habe das Gefühl, dass mein Herz explodiert. Ich wollte immer der Grund sein, wieso du lächelst.

Du streichst mit der Hand über die Haare auf meiner Brust. Das hast du immer schon geliebt. Du hast es schon zu einer Zeit geliebt, als auf meiner Brust nur ein kleiner Flaum gewesen ist. So lange lieben wir uns schon, Lou.

Du legst deine Lippen auf meine und umfasst meine Härte mit festem Griff. Das habe ich schon immer geliebt. Du weißt genau, was ich gerade brauche.

Ich kann nicht ohne dich leben. Aber du wirst lernen müssen, ohne mich zu leben, Baby. Ich würde dir gerne sagen, wie sehr ich dich liebe. Aber es geht nicht. Du darfst es nicht hören. Du sollst nicht wissen, wie es in mir aussieht. Denn auch du würdest alles für mich tun, wenn du wüsstest, dass alles eine Lüge war. Ich habe dich angelogen, damit du gehst und wieder lüge ich, damit du für den Moment bei mir bleibst. Würdest du die Wahrheit kennen, würdest du für immer bleiben.

Du küsst dich an meiner Brust herab, bis hinunter zu meiner Härte und nimmst sie tief in deinen Mund. Das hast du auch schon immer geliebt, oder Lou? Ich weiß noch, wie aufgeregt du warst, als du mich zum ersten Mal im Mund hattest. Du wusstest nicht, was du tust. Es war alles neu für dich. Jetzt bist du ein echter Profi, in allem was du tust. Ich fühle mich geehrt, dass ich dein Lehrer sein durfte, auch wenn bald jemand anderes in den Genuss deiner Künste kommen wird.

Ich kralle meine Hände in deine Haare und presse dich fester an mich. Du würgst an mir, gibst aber bereitwillig nach und nimmst mich tiefer in deinem Mund auf. Das habe ich schon immer an dir geliebt. Ich habe dich schon immer geliebt. Selbst als ich dich noch nicht kannte, habe ich nur auf dich gewartet und dann bist du mit einem Minzeis in mein Leben spaziert…

Ich sitze alleine in einer Eisdiele. Auch wenn ich sonst nicht viel kann, alleine sein konnte ich schon immer gut. Mein Vater ist Börsenmakler und als solcher viel auf Geschäftsreise. Wir sind ihm wichtig, daher fahren wir immer mit. Mein Bruder und ich werden von unserer Mutter unterrichtet, wenn wir unterwegs sind. Ich verstehe mich nicht sehr gut mit meinem Bruder und da ich viel unterwegs bin, habe ich auch keine Freunde. Alleine sein – das ist es, was ich gut kann.

Ich löffele in meinem Eisbecher. Das Minzeis ist klasse. Wenigstens etwas. Ich war nicht scharf darauf, wieder in meine Heimatstadt zurück zu kehren, aber mein Vater wollte hier sesshaft werden. Genug Geld dafür hat er. Aber hier kennt jeder meine Familie und wir werden komisch angesehen, wenn wir sagen, wo wir leben. Unser Haus wird von allen nur das Miller-Anwesen genannt. Ich hasse es und wünschte, ich wäre einfach normal. Einfach ich.

Die Klingel über der Tür der Eisdiele schreckt mich auf.

Ich verschlucke mich an meinem Eis, als ich dich zum ersten Mal sehe. Heilige scheiße, wer bist du denn? Du bist mit Abstand, das schönste Wesen, das ich je gesehen habe. Du bist durch und durch perfekt – wunderschön, makellos, atemberaubend…

Meine Gedanken überschlagen sich und mein Magen krampft sich zusammen. Ich sollte nicht so denken und schon gar nicht so fühlen. Was ist das? Habe ich schon jemals so etwas gefühlt?

 Du siehst mich nicht an, als du mit deiner Freundin zur Theke gehst und dir ein Minzeis bestellst.

Minzeis? Ernsthaft? Du magst Minzeis? Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte dir zugerufen, dass wir Seelenverwandte sind. Aber ich bin auch so schon ein seltsamer Sonderling ohne Freunde.

Du gehst an meinem Tisch vorbei und siehst mich zum ersten Mal an. Als sich unsere Blicke treffen, bleibst du wie erstarrt stehen und schaust mich lange an. Fühlst du das Gleiche wie ich?

Ich lächele dich an und du erwiderst mein Lächeln. Das ist das Schönste, das ich je gesehen habe und ich habe augenblicklich das Gefühl, als hättest du mir in die Magengrube geschlagen. Ich unterdrücke den Impuls, zusammenzuzucken. Was machst du mit mir?

Du setzt dich in Bewegung und kommst zu mir an den Tisch…

…Und hier sind wir. Das hätte auch anders ausgehen können. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wärst du einfach weitergegangen.

Wir sind Seelenverwandte, Lou. Ich liebe Minze und dich. Du liebst Minze und mich. Ich weiß es, auch wenn du es nie sagst. So ist es besser. Ich darf nicht hören, wie sehr du mich liebst.

Ich komme in deinem Mund zum Orgasmus, so wie du es liebst und wünschte, es könnte für immer so sein.

Elizabeth

Das Gebäude sieht genauso aus, wie ich es erwartet habe. Ein großer Glaskasten mit bestimmt zehn Etagen. Ich lege den Kopf in den Nacken und werfe einen prüfenden Blick an der Glasfassade hinauf. Nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen.

Ich nervös? Was ist nur heute mit mir los?

Wir sind so kurz vor dem Ziel, dass wir die Ziellinie bereits sehen können – fast schon können wir sie fühlen. Es ist nur noch dieser eine Name übrig. Es ist fast vorbei.

»Gehen wir rein?« Wyatts Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ich nicke, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das so eine gute Idee ist. Aber viele Möglichkeiten sind uns nicht geblieben.

Wir betreten das Gebäude und Wyatt meldet uns am Empfang an. »Wyatt und Elizabeth Walsh. Wir haben einen Termin bei Anson Miller.«

Bei den Nachnamen versuche ich, nicht das Gesicht zu verziehen. Aber wir können ja schlecht als Wyatt Brown und Elizabeth Walker hier reinplatzen. Nicht bei dem, was wir hier vorhaben.

Ich lasse meinen Blick durch das Büro schweifen, in das wir gebracht werden. Die Wände und die Einrichtung sind durchgängig in weiß und grau gehalten. Alles wirkt sehr modern und gepflegt. Mitten im Raum steht ein großer Eckschreibtisch aus Glas. Dahinter befindet sich ein schwarzer Chefsessel und vor dem Glastisch stehen zwei wirklich bequem aussehende Sessel. Der Schreibtisch ist umringt von weißen Bücherregalen, die an den Wänden stehen.

»Sieh dir das mal an.« Wyatt steht an einem Regal, auf dem ein paar Bilderrahmen stehen, mit Fotos darin, von einer scheinbar glücklichen Familie.

Aber ich weiß es besser.

Mein Blick fällt auf einen höllisch attraktiven Mann, der April sehr ähnlich sieht. Das muss ihr Vater Ray Miller sein. Wenn ihre Brüder nur halb so gut aussehen, wie ihr Vater, muss ich mich auf einiges gefasst machen. Mein Blick fällt auf das Bild eines älteren Mannes – Aprils Großvater. Er wirkt unbeschwert und lächelt freundlich. Am liebsten würde ich ihm seine Fröhlichkeit aus dem Gesicht wischen.

Meine Wut verfliegt, als ich auf einem der Bilder April erkenne. Sie wirkt so lebensfroh, wie an dem Tag, als ich sie kennengelernt habe.

Strahlend sitzt sie im Sand, ihr dunkelbraunes Haar ist vom Wind zerzaust und ihre grünen Augen leuchten vor Glück. Heute wäre sie sicher eine wunderschöne Frau. Sie fehlt mir, jeden Tag ein bisschen mehr.

Wir werden endlich einen ihrer Brüder kennenlernen.So viele Jahre sind vergangen und nicht einmal haben wir nach ihrer Familie gesehen. Wir wussten zu wenig über sie und das Risiko war zu groß. Aber nun sind wir hier.

Wyatt lässt sich in einen der Sessel plumpsen, die vor dem Schreibtisch stehen, während ich an ebendiesen Tisch trete.

Darauf steht ein leerer Kaffeebecher mit dem Aufdruck 'Makler des Jahres'.

»Guten Tag«, erklingt eine tiefe Stimme hinter mir.

Erschrocken drehe ich mich zur Tür um und da steht er. Wyatt hat sein Kommen bereits bemerkt und wirft mir einen amüsierten Blick zu. Mein bester Freund weiß sofort, was mir durch den Kopf geht. Das ist immer schon so gewesen.

Anson Miller ist… einfach umwerfend! Er ist groß und schlank, aber gleichzeitig muskulös und hat dunkelbraunes, kurzes Haar. In seinem grauen Anzug sieht er so gut aus, dass mir für einen Moment die Luft wegbleibt.

Wyatt erhebt sich und die Männer begrüßen sich. Anson Miller nähert sich mir mit einem freundlichen Lächeln und streckt mir seine Hand hin: »Miss Walsh, es freut mich sehr, sie kennenzulernen.«

Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, da April auch eine Schönheit war und ihr Vater ebenfalls toll aussah, aber mit Sicherheit dachte ich nicht, dass mich der Anblick ihres Bruders derart umhauen würde.

Ganz mit meinen Gedanken beschäftigt, bemerke ich erst spät, dass mich beide Männer ansehen und auf eine Reaktion warten.

Verlegen ergreife ich seine immer noch ausgestreckte Hand. »Die Freude ist ganz meinerseits, Mister Miller.«

»Bitte, nennen Sie mich Anson«, entgegnet er immer noch lächelnd.

»Setzen sie sich doch.« Er deutet auf die Sessel und nimmt seinerseits hinter dem Schreibtisch Platz. Anson zieht sein Jackett aus und hängt es über den Stuhl. Der weiße Stoff seines Hemdes spannt sich über seinen muskulösen Oberarmen.

Ich kann die Augen nicht von ihm abwenden.

Anson lächelt Wyatt an. »Also, Mister Walsh, wie sie mir in ihrer E-Mail mitgeteilt haben, suchen sie ein Haus…. Ich nehme an, es ist für sie und… ihre Frau?«

»Bruder…. er ist mein Bruder«, stammele ich hastig – zu hastig. Die Hitze schießt mir in die Wangen und ich widerstehe dem Drang, mein Gesicht mit meinen Händen zu bedecken. Wyatt wirft mir einen amüsierten Blick zu und schüttelt kaum merklich den Kopf.

Anson zeigt uns verschiedene Häuser, die Wyatt nie kaufen wird. Denn wir sind aus einem anderen Grund hier. Obwohl wir schon wegen einem ganz bestimmten Haus hier sind. Auch wenn ich nicht damit rechne, dass Anson uns dieses Haus zeigt.

Als wir fertig sind, bringt Anson uns zum Ausgang.

Ich bin die ganze Zeit damit beschäftigt, ihn anzusehen und abzuschätzen. Er lächelt ständig und ist unglaublich höflich und freundlich.

Wir kommen bei den Waschräumen vorbei und ich gebe den Männern zu verstehen, noch kurz die Toiletten aufsuchen zu müssen. Im Waschraum atme ich erstmal tief durch. Dieser Mann bringt mich total aus dem Konzept. Wir haben einen Plan, oder zumindest so etwas Ähnliches und dieser Kerl ruiniert gerade alles.

Ich drehe den Wasserhahn auf und befeuchte meine Hände und mein Gesicht. Als ich einen Blick in den Spiegel werfe, bemerke ich, dass meine Wangen gerötet sind. Missbilligend schürze ich die Lippen und werfe mir selbst einen tadelnden Blick zu. Ich straffe die Schultern, um mich für eine weitere Begegnung mit Anson zu wappnen. Schnurstracks stürme ich durch die Tür nach draußen, wohl etwas zu hastig. Immer noch in Gedanken versunken, bemerke ich Anson nicht, der unmittelbar davorsteht und sich mit Wyatt unterhält. Ich laufe direkt in ihn hinein. Bevor ich fallen kann, hält er mich fest, dabei spannt er seine muskulösen Oberarme an.

»Hoppla, nicht so hastig!«, lacht Anson.

Ich bin ihm so nah, dass ich sein Aftershave riechen kann. Eine feinherbe Note, die ich noch nie gerochen habe.

In diesem Augenblick habe ich zum ersten Mal die Gelegenheit, ihm richtig ins Gesicht zu sehen. Seine Augen sind groß und unglaublich grün. Ich habe fast das Gefühl, ich würde die Blätter im Wald knistern hören.

Wiederwillig löse ich mich von diesen unfassbar grünen Augen, seine perfekt geformten Lippen verlangen nach meiner Aufmerksamkeit. Sie sind so schön rosafarben, dass mein Herz augenblicklich zu rasen anfängt.

Ich wüsste gerne wie diese Lippen schmecken. Sie sind sicher total weich und fühlen sich zwischen meinen Beinen bestimmt unglaublich an. Was? – Was war das denn gerade? Reiß dich zusammen!

»Ist alles in Ordnung, Miss Walsh?« Anson reißt mich aus meinen – zugegeben – recht unanständigen Gedanken.

Ich laufe rot an: »Bitte, nennen sie mich Liz.«

Ohne groß darüber nachzudenken, habe ich ihm meinen Spitznamen angeboten. Wieder schießt mir die Hitze in die Wangen. Hastig verabschiede ich mich und verlassen fluchtartig das Gebäude.

Elizabeth

»Man hast du es nötig!« Wyatt schüttelt lachend den Kopf.

»Es ist auch schon eine Weile her, Why, meinst du nicht auch?«, antworte ich und werfe Wyatt einen tadelnden Blick zu.

Nach dem Termin sind wir in eine naheliegende Bar gegangen, um die Erlebnisse des Tages nochmal Revue passieren zu lassen.

Wyatt sieht mich fragend an. Das tut er oft. Diesem Umstand verdankt er auch seinen Spitznamen, den ich ihm aufgrund seines ständigen Fragezeichens über dem Kopf verpasst habe. Er hat diesen Drang, alles zu hinterfragen.

Ich proste ihm mit meinem Bier zu und sage: »Mein letzter, nicht selbst gemachter Orgasmus, ist leider schon etwas her. Noch etwas länger und ich falle über dich her.«

Wyatt beißt sich auf die Lippe und sieht überall hin, nur nicht zu mir. Wir stehen uns so nahe, dass wir uns wie zwei Teile eines Ganzen fühlen. Nur zusammen sind wir wirklich vollständig. Aber so nah wir uns auch immer standen, diese Grenze haben wir nicht überschritten. Darüber nachgedacht habe ich allerdings schon – jeden verdammten Tag.

Ich sehe dabei zu, wie Wyatt einen großen Schluck von seinem Bier trinkt und mit der Zunge den Schaum von seinen Lippen leckt. Ein kleiner Rest bleibt an seiner Oberlippe hängen. Ehe ich mich bremsen kann, habe ich mich schon zu ihm herüber gebeugt und mit meinem Daumen über seine Oberlippe gestrichen. Am liebsten würde ich das mit der Zunge tun. Wyatt beißt sich wieder auf die Lippe, als ich den Schaum von meinem Daumen ablutsche.

Er sieht mich einen Moment lang abschätzend an, dann schüttelt er den Kopf. »Du hast wie ein Schulmädchen ausgesehen und bist sogar rot angelaufen. Es fehlte nur noch ein Sabberfaden aus deinem Mund.« Er wirft den Kopf in den Nacken und lacht. »Du solltest ihm nur schöne Augen machen und nicht gleich dein Höschen fallen lassen«, zieht er mich auf. »Ich dachte du übertreibst, aber du kannst das wirklich nicht.«

Ich weiß gar nicht, wieso Wyatt so überrascht ist. Wir kennen uns seit zwanzig Jahren und er weiß, dass ich… na ja, sagen wir mal, sozial etwas unbeholfen bin.

Ich werfe Wyatt einen tadelnden Blick zu. »Was du nicht sagst…«

Es wäre alles wesentlich leichter, wenn der Mann hässlich wäre. »Er sieht unglaublich gut aus und weiß das auch. Das könnte zum Problem werden.«

Wyatt lässt sich das einen Moment durch den Kopf gehen, dann sagt er: »Nein, keine Chance. Er wirkt tatsächlich sehr selbstbewusst. Aber nicht so, dass er dir widerstehen könnte oder wollte. Alles wird laufen, wie geplant.«

Ja, der Plan. Pläne finde ich gut. Aber das hier ist nicht gerade ein Plan. Vielmehr ist es kreative Improvisation mit einer hohen Fehleranfälligkeit. Ich plane Dinge gerne lange im Voraus und mag es, wenn mein Leben einem gewissen Muster folgt. Unvorhergesehenes bringt mich immer ins Straucheln und dieser Plan, wie Wyatt ihn nennt, könnte nicht wackeliger sein.

»So, ich muss los«, sagt Wyatt und erhebt sich. »Im Gegensatz zu dir habe ich keine Durststrecke.«

Es mag vielleicht wie eine Durststrecke aussehen, aber das ist es nicht und Wyatt weiß das auch. Vielmehr habe ich mir diese Abstinenz selber auferlegt – bin ich mit den Gedanken doch bloß bei ihm.

Wyatt sieht über seine Schulter hinweg zu einer Frau, die ihn praktisch mit den Augen auszieht – eine sehr schöne Frau.

Wyatt hat seine Umgebung immer im Blick. Das ist typisch für ihn und auch einer der Gründe, wieso er Polizist geworden ist. Wyatt sieht einfach alles, auch die Dinge, die man am liebsten vor ihm verstecken will – besonders diese Dinge. Er liest in den Menschen, wie in Büchern.

Bevor er geht, dreht er sich nochmal um und sagt: »Er war übrigens auch total scharf auf dich und hat dich vorhin mit seinen Augen ausgezogen, aber das ist ja nichts Neues, Lizzy. So eine Wirkung hast du nun mal auf alle Männer.«

Nur nicht auf den einen, den ich will…

Wyatt gibt mir einen Abschiedskuss auf die Wange und wünscht mir viel Glück.

Ich sehe dabei zu, wie er die Frau anspricht und kurz darauf mit ihr verschwindet. In Wyatts Nähe schmelzen die Frauen förmlich dahin. Das überrascht mich nicht, schmelze ich doch selber dahin.

Ich bleibe an der Bar sitzen und warte. Allzu lange werde ich allerdings nicht warten müssen – Wyatt und ich bereiten uns immer gut vor.

Kurze Zeit später kommt Anson herein, dicht gefolgt von einem weiteren Mann, der ihm auffallend ähnlich sieht: die gleichen dunkelbraunen Haare und die auffallend grünen Augen. Zweifellos Aprils anderer Bruder. Er ist etwas größer und bei Weitem nicht so muskulös wie Anson. Er trägt auch keinen Anzug, sondern ist mit einer Jeans und einem Shirt legerer gekleidet. Das gute Aussehen liegt zweifellos in der Familie, aber Anson wirkt trotzdem ganz anders als sein Bruder. Er strahlt eine Wärme aus, die mich an seine Schwester April erinnert und mich augenblicklich schwach werden lässt. Sein Bruder hingegen wirkt unnahbar und in sich gekehrt. Ich bin nicht sicher, was ich davon halten soll, da April oft von ihren großen Brüdern geschwärmt hat. Nur Anson passt auf diese Beschreibung. Aber es ist nicht Ansons Bruder, dem mein Interesse gilt.

Anson kommt direkt auf mich zu und lächelt. »Liz, was für ein Zufall.« Natürlich ist es kein Zufall, dass ich ihn hier treffe. Wyatt und ich sind stets gut vorbereitet.

»Wie schön dich zu sehen, Anson«, sage ich. »Ich darf doch du sagen, oder?«, frage ich.

Anson nickt und deutet auf seinen Bruder. »Das ist mein Bruder Avery, Avery das ist Elizabeth.«

Wir schütteln einander kurz die Hand und Avery wendet sich direkt wieder ab. Er klopft seinem Bruder auf die Schulter. »Bin kurz draußen.«

Als Avery die Bar verlässt, wende ich meinen Blick Anson zu. Wie gebannt starre ich auf seine rosigen Lippen.

Wie die wohl schmecken? Verdammt, was machst du da… Reiß dich zusammen!

»Wie alt bist du?«, platze ich plötzlich heraus.

Toll, benimm dich doch noch mehr wie ein Idiot.

Ich kenne unverbindlichen Sex, nie habe ich versucht, jemandem seine Geheimnisse zu entlocken und ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll. Wie ich bereits erwähnt habe, ist kreative Improvisation nicht mein Ding. Ich bin ungefähr so spontan wie ein Schweizer Uhrwerk. Vielleicht hätte Wyatt mir ein Skript schreiben sollen…

Anson sieht mich einen Moment überrascht an, dann erst antwortet er: »Ich bin 30. Ich würde dich ja auch fragen, aber einer Frau stellt man so eine Frage eher nicht...«

»Ich bin 28. Ich habe keine Probleme mit dem Alter«, erwidere ich. »Du kannst ruhig fragen.«

»Wenn jede Frau so aussehen würde wie du, hätte wahrscheinlich keine ein Problem mit ihrem Alter«, schmeichelt Anson.

Wieder schießt mir die Hitze in die Wangen. Dabei bin ich Komplimente zur Genüge gewohnt. Aber dieser Mann ist einfach so… Ich weiß nicht mal, wie ich ihn beschreiben soll. Irgendetwas hat er an sich, dass ein unreifes Verhalten in mir auslöst. Ich bin eine selbstbewusste Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht, sich aber trotzdem in Gegenwart dieses Mannes, wie ein dümmlich kicherndes Schulmädchen aufführt.

Anson mustert amüsiert meine Wangen. Er weiß genau, was er da tut. Zweifellos hat er ein Händchen für Frauen. Das gefällt mir nicht. Bin ich doch sonst diejenige, die die Fäden in der Hand hält. Schleichend nimmt er die Kontrolle aus meinen Händen und strengt sich dabei nicht mal besonders an. Das kann ich nicht zulassen.

Abrupt stehe ich auf. »Anson, ich äh habe mich gefreut, dich wiederzusehen. Ich muss jetzt leider gehen.«

Fluchtartig verlasse ich die Situation, so wie ich es immer tue, wenn ich das Gefühl habe, nicht mehr Herr der Lage zu sein. Kampf oder Flucht? Wäre meine beste Freundin jetzt hier, würde sie kämpfen. Es ist nicht ihr Stil, zu flüchten und sie würde mich rügen, weil ich eine Flucht auch nur in Erwägung ziehe. Ich bin schon eine Kämpferin, aber eine die einen kühlen Kopf bevorzugt, und erstmal flieht. Das gibt mir Zeit, die Situation neu zu bewerten und entsprechend zu reagieren – Zeit Pläne zu schmieden. Hatte ich erwähnt, dass kreative Improvisation mir nicht liegt?                   

Avery

»Sie haben uns gefunden.« Atemlos halte ich das Handy an mein Ohr und entferne mich schnellen Schrittes von der Bar.

Ich habe damit gerechnet und bin vorbereitet, dennoch ist es beängstigend, aber auch ungeheuer erregend.

Als ich Elizabeth Walker in der Bar sitzen sah, wusste ich, dass sie nicht zufällig da ist. Dass mein Bruder sie vorstellt, war ebenfalls nicht nötig. Ich habe sie immer im Blick behalten. Aber auch wenn nicht, hätte ich sie sofort an ihren eisigen Augen erkannt, die denen ihres Vaters so ähnlich sind. Die Tatsache, dass die kleine Beth mir keine Beachtung geschenkt hat, sondern nur Augen für Anson hat, zeigt mir, dass sie keinen blassen Schimmer hat, was hier wirklich läuft. Das verschafft uns mehr Zeit.

Am anderen Ende der Leitung herrscht solange Stille, dass ich denke, er hätte aufgelegt.

Aber dann räuspert er sich: »Sie sind schnell…«

Ich nicke, obwohl er mich nicht sehen kann. »Ja, aber sie wissen gar nichts. Sie sind bislang nur hinter Anson her«, erkläre ich.

Er bricht in Gelächter aus: »War klar, dass sie sich nur auf den Namen stürzen und dabei den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.«

Offenbar weiß er sie besser einzuschätzen als ich. Ich habe gehofft, dass Beth zuerst Kontakt zu mir aufnimmt, aber das behalte ich lieber für mich.

Sein Lachen dringt immer noch durch das Handy. Ich schürze die Lippen. Für meinen Geschmack nimmt er die ganze Sache etwas zu gelassen.

»Das wird nicht lange so bleiben«, bemerke ich. »Sie werden die Wahrheit herausfinden, über mich, über…«

Er unterbricht mich: »Es ist alles unter Kontrolle. Erledige einfach deinen Job, Junge! Ich habe zu tun.«

Ich weiß auch genau, was er zu tun hat. Es ist immer das Gleiche mit ihm.

Ich beende das Gespräch und gehe wieder in Richtung Bar, aus der in diesem Moment Beth kommt. Schnell gehe ich um die Ecke, sodass sie mich nicht mehr sehen kann, ich sie aber weiterhin im Blick behalten kann.

Sie ist perfekt. Das ist sie immer schon gewesen. Ich kann mich noch sehr gut an die erste Begegnung mit ihr erinnern. Leider durfte ich damals nur einen kurzen Blick auf sie werfen, aber das reichte schon, um mir völlig den Kopf zu verdrehen. Sie war klein, zierlich und ihre helle Haut war absolut makellos. Jeder Zentimeter von ihr wirkte so unschuldig, nur ihre Augen nicht. Die strotzten nur so vor Mut und Entschlossenheit. Schon damals wollte ich sie um jeden Preis besitzen, musste sie unbedingt haben. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen und machte einen Fehler, der mich bis zum heutigen Tage verfolgt.

Beth winkt sich ein Taxi heran und ich mustere sie ein letztes Mal, bevor sie in das Taxi steigt. Seit Jahrzehnten verzehre ich mich nach ihr und kann sie doch nicht erreichen. Aber Abstand halten, ist ohnehin die bessere Strategie. Ihre umwerfende Schönheit kann einen leicht in Irre führen, ich habe das selber erlebt. Mich wird sie allerdings nicht mehr täuschen. Ich weiß genau, wen ich vor mir habe und wozu sie fähig ist – eine diabolische Puppenspielerin durch und durch.

Nun muss ich ein Auge auf meinen kleinen Bruder haben, bevor sie ihre Krallen in ihn schlägt, wobei ich mir gleichzeitig wünsche, dass sie sie in mich schlagen wird. Ich bin ihr gewachsen, mein Bruder ist es nicht.

Ich gehe zurück zu Anson in die Bar. Als ich mich zu ihm setze, fällt mir als erstes sein süffisantes Grinsen auf. Er scheint schwer beeindruckt von der kleinen Beth und ich kann es ihm nicht mal verübeln.

Ich stoße ihn mit der Schulter an. »Alter, wo hast du so eine Frau gefunden, mir sind fast die Augen rausgefallen?«

Mein Bruder grinst mich an. »So ging es mir vorhin auch.«

Anson hält das offenbar für eine rhetorische Frage, aber ich brauche die Information tatsächlich. »Nein, im Ernst, Bro. Wo hast du sie gefunden?«

Verblüfft sieht Anson mich an. »Sie hat eher mich gefunden. Ihr Bruder sucht ein Haus und sie waren heute Vormittag zusammen in meinem Büro.«

Mit so einer Antwort habe ich gerechnet. Beth ist wahrlich kein Geheimnis für mich. Auch weiß ich, wer ihren Bruder gespielt hat. Wyatt. Dieser Widerling.

Mir ist nicht entgangen, dass auch er Beth völlig verfallen ist. Aber wie könnte es anders sein? Bevor einem Mann aufgeht, wen er vor sich hat, sitzt er auch schon in ihrer Falle – zusammen mit all den anderen Männern, einschließlich mir. Zusammen sitzen wir in ihrer Gefangenschaft und warten auf das Ende.

Bei dem Gedanken daran, Wyatt könnte ihre makellose Haut berühren, dreht sich mir der Magen um. Ich hätte mich schon vor Jahren um ihn kümmern sollen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden…

Elizabeth

Auf dem Weg nach Hause muss ich die ganze Zeit an Anson denken. Da ist etwas an ihm, was mich schwach werden lässt. Schwäche ist nur etwas, was ich mir überhaupt nicht leisten kann, nicht wenn wir dem Ende so nah sind. Ich muss einen kühlen Kopf bewahren und die Augen auf dem Ziel lassen. Aber offenbar hat Anson andere Pläne. Ist das Absicht? Versucht er mich an der Nase herumzuführen, während ich das Gleiche bei ihm versuche?

Der Plan, wie Wyatt ihn nennt, ist riskant. Das ist mir von Anfang an klar gewesen und natürlich haben wir Ansons Involviertheit in Betracht gezogen. Aber wir haben alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns aufs Glatteis zu wagen. Wobei nur ich auf wackeligen Beinen mitten auf dem wirklich sehr dünnen Eis stehe und hoffe nicht einzubrechen. Dabei knackt es schon bei jeder meiner Bewegungen.

Der Taxifahrer hält vor meinem Haus. Es ist ein kleines Reihenhaus am Stadtrand von Oakly, einer Stadt mit knapp einer Million Einwohner in Texas. Ich hätte mir sicher auch etwas Besseres leisten können, das zentraler liegt, aber Bescheidenheit ist mir schon immer wichtig gewesen. Außerdem ist ein Haus, das Aufsehen erregt, nicht zu meinem Vorteil.

Nicht bei den Dingen, die hier versteckt sind.

Mein Haus gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Fenster und Türen sind verstärkt und mehrfach gesichert. Ich habe es direkt nach dem Kauf entsprechend aufrüsten lassen.

Das Einzige, was es hier nicht gibt, sind Kameras. Wir können wirklich nichts und niemanden gebrauchen, der sieht, was wir hier tun.

Noch vor sechs Monaten sah mein Leben völlig anders aus: Ich war in den letzten Zügen meines Jurastudiums an der Colorado State University, als der Anwalt meines Vaters mich in meinen Geburtsort zurückbestellt hat. Plötzlich stehe ich auf der Beerdigung meines Vaters und übernehme dessen Unternehmen. Plötzlich ist es vor allem für die Menschen auf der Beerdigung gewesen. Für mich kam es nicht ganz so plötzlich.

Ich habe fast mein Leben lang auf diesen Tag gewartet.

Sofort nach Übernahme des Unternehmens habe ich es aufgelöst – obwohl es erfolgreich war. Das Geld, das mein Vater in den vergangenen Jahren erwirtschaftet hat, habe ich größtenteils an diverse NGOs gespendet, die sich dem Kinderschutz verschrieben haben. Einen Rest des Geldes habe ich behalten. Es dient der Finanzierung des Projektes, an dem Wyatt und ich schon viel zu lange arbeiten. Und nun steht nur noch dieser eine Name auf der Liste.

Es klingt nicht nach viel und angesichts dessen, was wir bereits erreicht haben, ist es nur noch ein kleiner Schritt. Zumindest haben wir das angenommen. Aber an dem Mann hinter dem letzten Namen beißen wir uns buchstäblich die Zähne aus. All unsere Bemühungen ihn zu finden, landen unweigerlich in einer Sackgasse.

Es ist wie beim Schach. Du denkst, du hättest gewonnen und kannst den Sieg praktisch schon schmecken. Doch plötzlich wandelt der Gegner seinen Bauern in eine weitere Dame um und wendet das Blatt. Eine solche Bauernumwandlung macht unser Gegner ständig. Es ist, als hätte er nur noch Damen auf dem Feld.

Frech grinst er uns ins Gesicht und dreht uns eine lange Nase.

Ist es so? Weiß er, dass wir kommen? Sieht er jeden unserer Züge voraus?

Mint

Sie haben ihren Zug gemacht und die Schlinge um meinen Hals wird enger, Lou.

Ich habe nicht mehr viel Zeit. Zeit, die ich nur mit dir verbringen will.

Du stürmst durch meine Tür und wirfst mir einen wütenden Blick zu. Selbst wütend, bist du das schönste Wesen, das auf Gottes grüner Erde wandelt.

»Was ist jetzt schon wieder?«, herrschst du mich an.

Gott du bist hinreißend. Du bist einfach perfekt.

Ich gehe auf dich zu und sofort wendest du dich ab. Du glaubst, du könntest dich wehren, aber daraus wird nichts, Baby. Ich schlinge meine Arme um deinen Bauch und küsse dich in den Nacken. Ich liebe deinen Geruch, wie ich dich liebe. Du seufzt und schmiegst dich unweigerlich an mich.

»Du kannst mich nicht immer mit Sex besänftigen, Mint«, schimpfst du.

Oh doch ich kann und ich werde. Ich küsse dich weiter im Nacken und arbeite mich bis zu deinem Hals vor.

»Sie kommen dich holen«, lässt du mich wissen.

»Ich weiß«, sage ich.

Du löst dich von mir und drehst dich zu mir um.

»Ich werde dich nicht vor ihnen beschützen«, stellst du klar. »Du bekommst, was du verdienst, du mieser Wichser.«

Ach Lou, das weiß ich doch. Aber du weißt gar nichts über das alles und so soll es auch bleiben.

»Weder brauche ich deinen Schutz, noch will ich ihn«, erwidere ich kühl.

Auch wenn ich dich ständig anlüge, ist das diesmal die Wahrheit. Das du mich beschützt, ist das Letzte was ich will.

Du wendest dich zum Gehen, aber ich rufe dich zurück. Ich kann nicht ohne dich leben. Aber das werde ich dir nicht sagen.

Stattdessen sage ich: »Tun wir doch nicht so, als wärst du jetzt nicht gerade scharf auf meinen Schwanz. Komm und hol ihn dir.«

Du drehst dich wütend zu mir um. Du bist genauso scharf auf mich, wie ich auf dich. Wehr dich nicht, Lou.

»Ich kann das nicht mehr.« Deine Stimme zittert. »Nein, ich will das nicht mehr.« Du klingst verzweifelt.

Natürlich willst du mich. Ich kann es in deinen Augen sehen. Nicht mehr viel und dein Widerstand wird bröckeln.

Diese Nacht wirst du wieder in meinem Bett liegen und wie verrückt an meinem Schwanz saugen, genauso wie du es liebst. Du wirst mich zum Wimmern bringen und ich werde mich wieder tief in dir versenken.

Ich gehe langsam auf dich zu und du weichst zur Tür zurück. Renn nur, Baby. Du wirst ja doch zurückkommen und mir deinen Körper auf einem Silbertablett servieren.

Hastig ziehst du deine Waffe und richtest sie auf meinen Kopf. »Komm nicht näher. Es ist vorbei.«

Oh, Lou, wenn ich jedes Mal einen Dollar bekommen würde, wenn ich deine Waffe am Kopf habe, dann wäre ich noch reicher, als sowieso schon. Ich drücke meine Stirn an den Lauf der Waffe und schiebe meine Hand zwischen deine Beine. Du stöhnst und zitterst unter meiner Berührung.

»Na los, erschieß mich«, locke ich dich. »Halte dein Versprechen und töte mich.«

Ich lasse mich auf die Knie sinken und deine Waffe folgt mir. Langsam öffne ich deine Hose und befriedige dich mit dem Mund. Deine Waffe ist immer noch an meinem Kopf, aber du hast längst kapituliert. Deine freie Hand ist in meinem Haar vergraben und du presst meinen Kopf fest an dich. Kurz bevor du kommst, nehme ich dir die Waffe aus deinen zittrigen Händen, damit du mich nicht aus Versehen erschießt. Deine Zeit wird kommen, Lou. Aber erstmal wirst du kommen und ich werde dir dabei zusehen. Nie habe ich etwas Schöneres gesehen als dich. Wie du dich unter meiner Berührung windest und dir auf die Lippe beißt, wenn du es kaum mehr aushältst. Wie du die Augen verdrehst und deinen Mund weit aufreißt, wenn der Orgasmus dich endlich einholt. Schön – wunderschön. Alles an dir ist perfekt, Lou.

©Lisa Lee

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