Vorsicht Spoiler für alle die den ersten Band 'Die Liste - Der letzte Name' noch nicht gelesen haben!!!
Leseprobe nicht mehr aktuell. Für mehr Lesespaß wird das Buch komplett überarbeitet und die Veröffentlichung auf unbestimmte Zeit verschoben.
Prolog
Blut rinnt an der Wand herab und tropft auf den Boden. Es ist mein Blut, aber es spielt keine Rolle, es könnte genauso gut ihr Blut sein. Es klebt ja doch an meinen Händen. Ich hätte sie retten können – ich hätte sie retten müssen.
Ich sehe auf meine blutverschmierte Hand. Sie ist gebrochen. Ich habe sie knacken hören, als ich gegen die Wand geschlagen habe, nachdem ich den Anruf erhalten habe. Wie soll ich meine Fehler jemals korrigieren? – so viele Fehler. Angefangen bei Ray Miller und es endet mit April Miller. Das hat sie nicht verdient – ich habe das nicht verdient. Es ist genug. Er hat genug Leben zerstört. Es wird Zeit, mich an das zu halten, was ich ihm vor Jahren versprochen habe…
Daneta
Braune Augen starren auf mich hinab. Sie sind kalt und unnachgiebig. Sie haben kein Mitgefühl, empfinden keine Liebe, keine Gnade. Ein Schauer läuft über meinen gesamten Körper, einen Körper, der sowieso nur aus Schmerzen zu bestehen scheint. Plötzlich spüre ich ein Brennen, das sich zu dem schon bestehenden Schmerz dazugesellt. Ich sehe an mir herab und sehe Blut – jede Menge Blut. Die braunen Augen ergötzen sich an meinem Leid. Das Blut wird immer mehr, rinnt in jede Ritze und ich bekomme keine Luft mehr…
Ich finde schreiend aus dem Schlaf. Meine Haut ist nassgeschwitzt. Ich boxe in das Kissen.
»Fuck!«, fluche ich. Jede Nacht der gleiche Mist. Was zum Teufel soll das? Am liebsten würde ich diesen braunen Augen mit einer rostigen Gabel ausstechen. Ich werfe einen prüfenden Blick auf die Uhr und stöhne.
Tja die Nacht ist wohl wieder gelaufen.
Ich werfe meiner Bettnachbarin Lynn einen neidischen Blick zu. Sie schläft tief und fest und lässt sich durch meine nächtlichen Attacken nicht stören.
Mühsam rappele ich mich auf, ziehe meine Sportsachen an und renne los. Es ist noch dunkel draußen. Ich renne so lange, bis die braunen Augen nur noch eine blasse Erinnerung sind, die mich nicht länger in die Knie zwingt. Sport ist mein Ding. Ich bekomme den Kopf frei und habe nicht mehr das Gefühl, als würde ein Elefant auf meiner Brust sitzen.
Ich komme zurück nach Hause. Wobei: Zu Hause ist nicht das richtige Wort. Aber in Ermangelung eines besseren Wortes nenne ich es gegenwärtig so. Das Hopeful Kinderheim im Brennpunktviertel von Rhoda Colorado ist mein zu Hause. Bei dem Wort Hopeful muss ich immer lachen. Hier gibt es so einiges: Kakerlaken, Schimmel, Verzweiflung, Tränen – aber keine Hoffnung.
Ich lebe hier schon solange ich denken kann. Ich weiß nicht, wo ich herkomme, wer meine Eltern sind oder aus welchem Grund ich hier bin. Aber eines weiß ich: Ich bin eine Kämpferin. Ich lasse mich von dem ganzen Scheiß nicht unterkriegen, vielmehr stehe ich jeden Morgen auf und mache weiter. Auch wenn es hier nicht viel Hoffnung gibt, habe ich die Hoffnung nie aufgegeben, alles könnte eines Tages besser werden. Dafür muss ich diesen trostlosen Ort allerdings verlassen. Das ist der Plan.
Ich muss die braunen Augen, die mich seit Jahren verfolgen, hinter mir lassen und irgendwie neu anfangen. Ich habe jede Arbeit angenommen, die angeboten wurde: Putzen, Rasenmähen und Babysitten. Ich habe so genug Geld verdient, um mir einen gefälschten Ausweis zu besorgen. In dieser Gegend ist das ein Leichtes. Ich hätte auch eine Waffe kaufen können oder Drogen. Die werden hier etwas häufiger gekauft. Viele meiner Mitbewohner flüchten sich gerne anhand von Drogen ins Vergessen. Ich allerdings nicht. Dann hätte ich die Waffe vorgezogen, der langsame Tod ist nichts für mich. Eher gar keiner.
Ich bin entschlossen hier rauszukommen und Antworten zu finden. Antworten auf Fragen, die ich mir seit Jahren stelle. Wo komme ich her? Wieso habe ich Narben im Intimbereich und am Oberschenkel? Sind die Narben der Grund für die Träume? Gibt es die braunen Augen wirklich? Und die wichtigste aller Fragen: Wann kann ich sie mit einer rostigen Gabel ausstechen?
Leider bin ich erst fünfzehn Jahre alt und darf das Kinderheim daher nicht offiziell verlassen. Deshalb habe ich mir Mühe gegeben an einen gefälschten Ausweis zu kommen. Auf diesem bin ich einundzwanzig Jahre alt. Heute bekomme ich ihn endlich ausgehändigt, heute Nacht starte ich in mein neues Leben.
Cable
»Nervös?«, fragt meine beste Freundin Ada, als wir auf das Gebäude zugehen. Ich zucke mit den Schultern, schweige aber. Natürlich bin ich nervös. Dass sie überhaupt fragen muss.
»Und du?«, frage ich.
Ada lacht. »Zur Hölle, ja.«
Heute ist unser erster Arbeitstag beim Oakly Police Department in Texas. Das wir hier genommen wurden und auch noch zusammen, ist ein echter Glücksfall. Oakly hat alleine drei Polizeischulen und daher kann nicht jeder beim Oakly Police Department eingestellt werden. Aber die meisten Polizisten wollen ohnehin aus Oakly raus. Ich aber nicht. Ich habe hier alles, was ich brauche. Die wichtigsten Menschen in meinem Leben sind hier: Meine Eltern Cecilia und George Nicols und meine beste Freundin Adalyn Hoobs leben in dieser Stadt. Mehr brauche ich nicht.
Ada und ich sind zusammen zur Schule und anschließend auf die Polizeiakademie gegangen. Genau wie ich kommt Ada auch aus einer Polizistenfamilie. So haben wir uns auch kennengelernt. Unsere Eltern waren zusammen im Everleigh Police Department in Idaho angestellt. Als meine Großeltern väterlicherseits alt wurden, sind meine Eltern zu ihnen nach Oakly gezogen. Ich wurde ein paar Jahre nach dem Tod meiner Großeltern in Oakly geboren. Ada wurde in Everleigh geboren. Ihre Eltern starben bei einem Autounfall, als Ada gerade fünf Jahre alt war. Meine Eltern sind die Paten von Ada und haben sie bei uns aufgenommen. Also sind wir irgendwie auch wie Geschwister aufgewachsen. Trotzdem würde ich sie nie als meine Schwester ansehen, dazu haben wir viel zu oft Sex miteinander. Es ist eigentlich keine große Sache. Irgendwann haben wir angefangen, uns gegenseitig zu kratzen, wenn es uns juckt. Aber nie würde mehr aus uns werden. Dazu fühlen wir uns familiär dann doch zu sehr verbunden.
Wir betreten das Gebäude und stehen inmitten anderer Neulinge. Mein Blick fällt als erstes auf einen großen, muskulösen Mann mit hellbraunen Augen. Er hat dunkelblonde Locken und wirkt freundlich. Mehr noch als das: Von ihm geht eine Ruhe und Wärme aus, die ich nicht näher beschreiben kann. Ich habe einfach das Gefühl, mich an ihn schmiegen zu können, wenn mir kalt ist.
Ich schüttele den Kopf, über meine eigenen Gedanken. Sein Blick fällt auf Ada neben mir. Das wundert mich nicht. Ada ist eine Schönheit. Sie hat lange erdbeerblonde Haare und auffallend hellblaue Augen. Ihre Haut ist so hell, dass sie nie lange in der Sonne sein kann. Sie wird sofort knallrot. Auf ihrer Nase sind ein paar Sommersprossen. Sie ist schlank, mit einem Traumbusen und einem perfekten Knackarsch. Sie bildet den perfekten Kontrast zu mir, da ich ein muskulöser, schwarzer Riese bin. Meine Eltern haben immer geschwärmt, dass unsere Kinder sicher wunderschon wären und sie haben recht, das wären sie, aber so weit wird es nicht kommen.
Ich gehe auf den Mann zu und stelle mich und Ada vor.
Er schenkt uns ein strahlendes Lächeln. »Wyatt Brown«, sagt er.
Ein Polizeibeamter holt uns ab und bringt uns zu unserem Team, mit dem wir ab jetzt zusammenarbeiten werden. Zu meiner Freude ist Wyatt in unserem Team.
Wir richten unsere Arbeitsplätze ein. Eigentlich haben wir den ganzen Tag Streifendienst, jedoch muss später noch jeder Einsatz dokumentiert werden.
»Eure Initialen werden als Kürzel auf jeder Akte vermerkt«, erklärt unser Vorgesetzter Charlie.
Eigentlich ist sein Name Edward Chaplin. Aber aufgrund seines Nachnamens hat er diesen Spitznamen aufgebrummt bekommen. Bekloppte Spitznamen sind Standard bei der Polizei. Ich bin schon gespannt, welchen ich bekommen werden.
Zur Probe fertigen wir eine Akte an. Ich schreibe meine Initialen darauf. Charlie sieht mir über die Schulter und lacht. »Deine Initialen sind CNN?«
Ich nicke und unterdrücke den Impuls mit den Augen zu rollen. Darüber haben sich schon meine Mitschüler lustig gemacht. Mein Name ist Carson Nathaniel Nicols. Meine Mitschüler haben mich deshalb oft aufgezogen, solange zumindest, bis ich groß und muskulös geworden bin. Zusammen mit meiner Hautfarbe hat mich niemand mehr dumm angemacht.
»Alles klar, Cable News Network.«
Ich verziehe das Gesicht. »Der Spitzname ist viel zu lang.«
Charlie zuckt mit den Schultern. »Gut, dann eben nur Cable.«
Ich seufze. Ich wünschte irgendjemand würde mich mal bei meinem richtigen Namen nennen, aber außer meinen Eltern tut es niemand. Ada nennt mich Nic, nach meinem Nachnamen. Sie grinst mich an, als sie meinen neuen Spitznamen hört. Das Lachen vergeht ihr schnell, als unsere Kameraden ihren Nachnamen hören. Die Kinderserie The Hoobs war schon früher jedem bekannt und so war sie auch vielen Hänseleien ausgesetzt, solange zumindest bis ihr bester Freund ein muskulöser Riese geworden ist, der immer an ihrer Seite steht. Ada rollt mit den Augen, als sie ihren Spitznamen bekommt: Hubba. Nach dem Hoobs-Leader aus der Serie.
Wyatts Spitzname ist weit einfacher, als unserer: aus Brown wird Brownie.
Nach einem langen ersten Arbeitstag gehen Ada und ich noch zu mir. Wir leben getrennt, aber nicht weit voneinander entfernt.
»Scheiße, ist der heiß«, schwärmt Ada.
Ich werfe ihr einen amüsierten Blick zu. »Brownie?«
Ada schenkt mir ein wissendes Lächeln. »Findest du? Ich meinte eigentlich Charlie.«
Unser Chef Charlie ist bereits Anfang dreißig und wirklich attraktiv. Tintenschwarze etwas längere Haare, blaue Augen, ein toller Körperbau und ein gewinnendes Lächeln.
Ada und ich lassen uns mit einem Bier auf meine Couch plumpsen. »Bock zu vögeln?«, fragt Ada.
Ich zucke mit den Schultern. »Von mir aus.«
Ada grinst uns zeigt auf mich. »Aber erst machst du es mir mit dem Mund.«
»Gut«, sage ich mit einem Augenrollen.
Ada fährt voll auf Oralverkehr ab. Sie macht es noch lieber als Sex. Aber ich liebe es auch, mir einen blasen zu lassen.
»Dann will ich aber auch«, stelle ich klar.
»Dann haben wir heute keinen Sex?«, fragt sie.
Ich zucke wieder mit den Schultern. »Ich muss ja nicht in deinem Mund kommen.«
Ada schmollt. »Aber ich mag das.«
»Gut, dann vorher Sex«, biete ich an.
Ada grinst und klatscht in die Hände. Sie schlüpft schnell aus ihren Sachen und ich gehe vor dem Sofa auf die Knie. Ich umkreise ihre Klitoris mit meiner Zunge. Ich habe das noch nie gerne gemacht, aber Ada liebt es nun mal. Ich bringe sie schnell zum Orgasmus. Ich weiß genau, wie sie es haben will. Ada zieht mich zu sich hoch auf das Sofa. Sie öffnet meine Hose und zieht eine Schnute. Ich bin nicht mal hart. Aber Ada ist das schon gewohnt. Mein Penis braucht jedes Mal eine extra Einladung.
Verwöhnter Mistkerl.
Ada seufzt und lutscht an meinem schlaffen Schwanz, solange bis er sich endlich aufrichtet. Wir verzichten dann doch auf den Sex. Die Augen fest geschlossen, komme ich in Adas Mund.
Ada mustert mich einen Moment lang. Ich weiß genau, was sie denkt. Ich denke ja genau das Gleiche.
Daneta
Ich streife durch die Nacht, mit meiner kleinen Tasche in der Hand und einem gefälschten Ausweis in der Hosentasche. Einen Moment überlege ich, wo ich hin soll. Irgendwie habe ich das nicht richtig durchdacht. Zum Glück ist gerade Sommer und daher ist es nachts auch nicht so kalt. Ich suche mir trotzdem einen Platz, der nicht so zugig ist und werde fündig in einer Bahnhofstoilette. Von hier muss ich eh zusehen, wie ich von Rhoda nach Oakly in Texas komme. Das ist mein einziger Anhaltspunkt. Egal wie oft ich meine Betreuer auch gefragt habe, keiner konnte mir etwas über mich sagen. Eine Betreuerin hat in meiner Akte aber ein Bild gefunden. Darauf war ich vor dem Auto zu sehen, mit dem ich damals gebracht wurde. Dem Kennzeichen konnten wir entnehmen, dass es in Oakly zugelassen war.
Als ich endlich ankomme, streife ich durch die Straßen von Oakly. Die Fahrt hierher hat über einen Tag gedauert. Ich konnte mir gerade das Zugticket leisten, für Essen oder Trinken hat das Geld leider nicht mehr gereicht. In meiner Tasche befindet sich glücklicherweise eine Flasche Wasser und ein Apfel.
Ich hasse Äpfel.
Lange komme ich damit nicht hin.
Ich bin auf der Suche… Ja, wonach suche ich eigentlich? Es ist ja nicht so, dass alle Antworten plötzlich auf einer Reklametafel auftauchen. Ich weiß wirklich nicht, was ich erwartet habe. Aber plötzlich finde ich eine Antwort – direkt vor mir, ironischerweise auf einer Reklametafel. Ich lache laut los und ignoriere die Blicke der vorbeiziehenden Passanten. Vor mir befindet sich ein Plakat der US Army und ich habe das Gefühl, dass ich genau da hingehöre.
Im Army Rekrutierungsbüro lege ich meinen Ausweis vor. Der Mann in der Uniform, der sich als Sergeant Parker vorstellt, runzelt die Stirn bei meinem Anblick.
Dann schenkt er mir ein liebevolles Lächeln. »Bist du sicher, dass du hier richtig bist?«
Ich nicke entschlossen. Er nimmt meine Personalien auf und teilt mich zur Grundausbildung in Sanan Texas ein. Das ist etwa eine Stunde von hier entfernt. In einem Monat beginnt meine Ausbildung. Jetzt bin ich diejenige, die die Stirn runzelt. Ich kann mir nicht mal etwas zu Essen leisten. Wie soll ich diesen Monat überleben. Ich schildere Sergeant Parker mein Problem. Er hört mir aufmerksam zu und erklärt mir, dass es eine Straße weiter eine Obdachlosenunterkunft gibt und er will versuchen, meine Aufnahme in die Army zu beschleunigen. Bei so viel Hilfsbereitschaft bin ich sicher, dass ich am richtigen Ort bin. Sergeant Parker versichert, dass er sich im Obdachlosenheim melden würde, falls er mir helfen könne, immerhin habe ich nicht mal eine Adresse.
Ich mache mich auf den Weg zur Obdachlosenunterkunft. Davor hat sich schon eine lange Schlange mit Bedürftigen gebildet. Ich stelle mich an. Nach einer Weile hat sich hinter mir auch eine Schlange gebildet.
»Hey Süße!«, lallt ein Mann hinter mir. Er fasst mir an den Hintern. Ich wirbele herum und haue ihm mit der Faust voll ins Gesicht. Blut spritzt aus seiner Nase direkt auf meine Jacke. Der Mann geht zu Boden. Meine Schläge hatten schon immer ordentlich Wumms. In der Gegend, wo ich aufgewachsen bin, wäre ich einmal fast vergewaltigt worden. Ich musste lernen, mich zu verteidigen und mir ein dickes Fell zulegen. Merkwürdigerweise ist das nur einmal passiert, danach hat mich niemand mehr angefasst.
Die Mitarbeiter der Unterkunft schicken mich aus der Schlange und rufen die Polizei. Ich zucke mit den Schultern. Wenn ich hier nicht schlafen kann, penne ich halt in einer Zelle.
Kurze Zeit später taucht die Polizei auf, um mich festzunehmen. Der Mann wird unterdessen in ein Krankenhaus gebracht.
Auf der Polizeiwache nehmen sie meine Personalien auf und ich hoffe, dass diese Situation keine nachteilige Wirkung auf meine Karriere bei der Army hat. Ich schildere den Beamten die Situation und überraschenderweise haben sie Verständnis für mich. Ich atme erleichtert auf, bekomme aber Panik, weil ich wieder nicht weiß, wo ich hin soll, wenn die Beamten mich gehen lassen. Ich habe gehofft, ein paar Tage im Knast verbringen zu können. Leider lassen die Beamten mich gehen. Ich schüttele enttäuscht den Kopf und mache mich auf den Weg nach draußen. Vor der Polizeistation bleibe ich stehen und überlege mir meine nächsten Schritte.
Als ich gerade gehen will, höre ich eine tiefe Stimme. »Daneta?«
Ich drehe mich um und sehe in die braunen Augen eines Polizeibeamten. Aber nicht die braunen Augen aus meinem Traum. Diese hier sind viel heller und warm und ich habe sofort das Gefühl, dass sie Licht in meine Dunkelheit bringen. Er geht einen Schritt auf mich zu.
»Du bist es… Meine Kollegen haben über dich geredet und ich dachte, das kann kein Zufall sein. Daneta Jones… Weißt du eigentlich, wie lange ich dich schon suche?«
Verwirrt sehe ich ihn an und er sieht plötzlich traurig aus. »Du erinnerst dich nicht… natürlich nicht. Du warst ja auch erst fünf Jahre alt. Ich bin Wyatt Brown.«
Ich mustere ihn eine Weile und habe plötzlich das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen. Ich fühle mich wohl in seiner Nähe, dabei fühle ich mich in niemandes Nähe wohl.
Cable
Wyatt hat sich ein paar Tage frei genommen, aus familiären Gründen. Ich hätte ihm gerne geholfen, aber er hat jede Annäherung abgeblockt. Überhaupt wirkt er sehr verschlossen. Dann hat er sich plötzlich nach einem Mädchen erkundigt, dass von einer anderen Einheit verhaftet wurden ist und hat dann Charlie um ein paar freie Tage gebeten. Jetzt werde ich ihn ein paar Tage nicht sehen. Nicht, dass es mir etwas ausmachen würde, ihn mal nicht zu sehen.
Ada und ich fahren nach der Arbeit unsere Eltern besuchen.
Mein Vater George drückt Ada fest an sich.
Sie drückt ihm einen Kuss auf die Wange. »Wie geht’s dir, Dad?«
»Ach, ich werde alt«, brummt George. »Du weißt doch, dass dein alter Herr nicht mehr der Jüngste ist.«
Ada drückt ihm beruhigend den Arm. George geht auf die siebzig Jahre zu. Er war der Polizeichef in Everleigh und war stets mit der Arbeit verheiratet. Bis eines Tages eine der wenigen Polizistinnen, die es damals gab, in seine Zuständigkeit gebracht wurde. Meine Mutter Cecilia hat sich sofort in ihn verliebt, obwohl er bereits fünfzig Jahre alt war und sie erst fünfundzwanzig. Das ist aber nicht das einzige Problem gewesen. Celilia ist dunkelhäutig und George hellhäutig. Das der alte weiße Polizeichef einer jungen schwarzen Polizistin nachstellt, ist damals ein Riesenskandal gewesen. George hat sich lange gegen seine Gefühle gewehrt. Aber schließlich haben sie geheiratet und mich bekommen. Weil George aber schon so alt war, habe ich leider keine Geschwister mehr bekommen. Na ja, bis auf Ada.
Cecilia ist eine fantastische Köchin und Bäckerin und Ada und ich kommen gerne zum Essen nach Hause.
Ich kehre alleine in meine Wohnung zurück. Ada wollte noch etwas erledigen und später nachkommen. Seit dem Fiasko vom letzten Mal, waren Ada und ich nicht mehr Intim miteinander. Wir denken beide das Gleiche, aber bislang hat sich niemand getraut, es laut auszusprechen. Ich habe schon länger das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmt. Angefangen hat alles als ich sechszehn wurde und mein erstes Mal mit Ada hatte. Ich habe meine Freunde von Sex schwärmen hören und wollte es auch unbedingt tun. Ada war nicht weniger neugierig als ich und schließlich haben wir beschlossen, es gemeinsam zu tun. Es war schön, aber nicht so berauschend, wie ich es mir nach den Erzählungen vorgestellt habe. Es war wie bei einem Film, den man unbedingt sehen will, weil alle meinen, es sei der beste Film aller Zeiten. Letztlich ist dieser Film aber nur enttäuschend, weil du mit viel zu übertriebenen Erwartungen ins Kino gegangen bist.
In den folgenden Jahren, habe ich auch mal mit anderen Frauen geschlafen, weil ich dachte, dass es vielleicht an Ada liegt. Aber das ist natürlich falsch gewesen. Der Sex mit Ada, war bislang der Beste. Wenn ich andere Männer über Sex reden höre, frage ich mich immer, was falsch an mir ist.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als Ada durch die Tür kommt. Wir haben die Schlüssel für die Wohnung des jeweils anderen ausgetauscht.
Ich sehe auf das Video in Adas Hand.
»Machen wir einen Filmabend?«, frage ich verblüfft.
Ada und ich sehen nur selten fern. Eigentlich trinken und quatschen wir bloß und ab und an vögeln wir.
»Ich will nur eine Theorie überprüfen«, sagt Ada kryptisch.
Ich runzele die Stirn, während sie die Kassette einschiebt. Ich brauche einen Moment, um zu erkennen, welches Bild sich mir auf dem Fernseher bietet.
Ich reiße erschrocken die Augen auf. »Ähm… Wo hast du das denn her?«
Ada mustert mich aufmerksam, dann zuckt sie mit den Schultern. »Videothek.«
»Du warst in der Videothek und hast das ausgeliehen?«, frage ich verblüfft und zeige auf den Fernseher.
»Ist doch egal«, erwidert Ada. »Viel wichtiger ist, wie du es findest.« Ich schaue wieder auf den Fernseher und sehe einen Mann, der einen anderen Mann mit dem Mund befriedigt. Ada hat einen Schwulenporno ausgeliehen.
»Du hättest mich auch einfach fragen können«, bemerke ich schnippisch.
»Bist du schwul?«, fragt sie.
Ich schüttele den Kopf.
Ada zeigt auf mich. »Deshalb habe ich nicht gefragt. Du gibst es ja doch nicht zu.«
»Wie kommst du überhaupt darauf?«, frage ich. »Und kannst du bitte diesen Schmuddelfilm ausmachen.« Ich betone das Wort Schmuddel extra.
»Du hattest schon immer Schwierigkeiten, ihn bei mir hoch zu kriegen«, gibt Ada zurück und steht auf, um das Video wieder an sich zu nehmen.
»Vielleicht liegt es ja an dir«, erwidere ich ausweichend.
Ada bricht in schallendes Gelächter aus. »Ich bin scharf. Wenn du da nicht hart wirst, liegt es sicher nicht an mir.«
Sie hat natürlich völlig recht, es liegt nicht an ihr. Aber Ada ist selbstbewusst genug, um meine Stänkereien zu ertragen.
Als Ada am Abend geht, will sie das Video mitnehmen. Ich beschließe es vorerst zu behalten und nehme es ihr aus der Hand. Ada schenkt mir ein amüsiertes Lächeln, bevor sie geht.
Daneta
Wyatts Haus sieht nett aus. Es ist gemütlich eingerichtet und wirkt wie er selbst: Warm. Ich fühle mich direkt wohl. Ich gehe erstmal duschen. Wyatt leiht mir Kleidung. Er hat auffallend viele Frauenkleider, bestimmt von seiner Freundin. Als ich in die Küche komme, habe ich zum erstem Mal Gelegenheit ihn näher zu betrachten. Natürlich hat er eine Freundin. Der Mann ist eine Wucht: Groß, muskulös, breite Schultern, volle Lippen und hinreißende dunkelblonde Locken auf dem Kopf, die geradezu danach schreien, dass ich mit den Händen hindurchfahre. Aber das wirklich umwerfende an ihm ist, dass er so viel Wärme ausstrahlt.
Er stellt mir ein Sandwich hin und lächelt mich an. Ich esse schweigend. Wyatt drängt mich nicht etwas zu sagen. Er wartet geduldig, bis ich soweit bin.
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung, wo ich anfangen soll.« Wyatt grinst. »Am besten am Anfang, Kleine.«
Ich verziehe das Gesicht bei dem Kosenamen. Ich bin zwar klein, aber ich bin auch tough.
Ich seufze. »Die Kurzfassung: Kinderheim, gefälschter Ausweis, damit ich da abhauen kann. In einem Monat gehe ich zur Army.«
Wyatt lächelt mich liebevoll an. »Das ist doch bestimmt noch nicht alles?«
Nicht mal annähernd.
Aber den Rest behalte ich lieber für mich. Ich schlinge meine Arme um ihn und lehne meine Stirn an seine feste Brust. Körperliche Nähe war nie wirklich mein Ding, aber im Moment will ich nur von Wyatt festgehalten werden. Als ob er meine Gedanken lesen kann, umarmt er mich fest und lässt mich solange nicht los, bis ich bereit bin, ihn gehen zu lassen. Ich lege den Kopf in den Nacken, um Wyatt anzusehen.
»Ich brauche Antworten.«
Wyatt nickt erleichtert, als hätte er darauf schon ewig gewartet. »Ich werde dir alle Fragen beantworten, allerdings denke ich, wir sollten auf Lizzy warten.«
Fragend sehe ich ihn an. »Ist das deine Freundin?«
Wyatt legt den Kopf in den Nacken und lacht lauthals los. Als er mir in die Augen sieht, blitzt so etwas wie Hoffnung auf und ich weiß nicht recht, wie ich das deuten soll.
»Eher meine beste Freundin«, sagt Wyatt entschieden. »Lizzy, also Elizabeth Walker war damals auch dabei, aber vermutlich erinnerst du dich nicht mehr an sie.«
Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon er redet.
»War wo dabei?«, frage ich.
Wyatt zögert einen Augenblick, dann sagt er vorsichtig. »Als wir uns kennengelernt haben. Ich werde dir alles erklären, sobald Lizzy hier ist. Sie studiert Jura an der Colorado State University in Rhoda.«
Ich sehe Wyatt mit großen Augen an. »Was für ein Zufall. Daher komme ich gerade.«
»Echt?«, fragt er. »Die Welt ist wirklich klein. Lizzy kommt jeden Monat nach Hause.«
»Sie kommt einmal im Monat von Colorado nach Hause?«, frage ich. »Klingt nach einer Menge Stress.«
Wyatt lacht. »Ja, stimmt, aber wir halten es ohne einander nicht lange aus.«
Ich runzele die Stirn. Das klingt nach einer schrägen Freundschaft. Wyatt sieht mich undurchdringlich an. Offenbar ist er derartige Reaktionen gewöhnt.
Wyatt geht ins Nebenzimmer um zu telefonieren. Vermutlich ruft er nun Elizabeth an. In der Zeit sehe ich mich in seinem Haus etwas um. Seine moderne offene Küche grenzt an ein Wohnzimmer an. An der Wand steht ein großes Sofa das geradezu zum Wohlfühlen einlädt. Vor dem Sofa befindet sich ein Tisch und davor ein Sessel. An der gegenüberliegenden Wand ist ein großer Fernseher angebracht. Neben dem Fernseher, gehen zwei Türen ab. Eine führt in das Badezimmer und die andere wird nun mein Zimmer sein.
Wyatt hat mich sofort bei sich aufgenommen, ohne Gegenleistung oder Fragen zu stellen. Wie viele Menschen würden so etwas tun? Neben dem Sofa geht eine Tür ab, durch die Wyatt eben verschwunden ist. Das ist vermutlich sein Schlafzimmer. Wie die Motte vom Licht, werde ich davon angezogen. Ich öffne die Tür einen Spalt breit und sehe Wyatt auf der Bettkante sitzen und beruhigend ins Telefon sprechen. Auf seinem Bett sind die Laken zerwühlt und sofort schießt mir die Hitze in die Wangen. Ich habe nur wenig Erfahrung in Sachen Sex, eher gar keine. Dafür hatte ich nie etwas übrig und könnte nicht mal sagen warum. Scheinbar empfinde ich keine sexuelle Erregung. Aber ich bin ja auch erst fünfzehn, auch wenn mein Ausweis etwas anderes sagt. Ich habe noch nicht mal mich selbst berührt. Lediglich die wulstige Narbe auf dem Venushügel, berühre ich öfter. Nicht etwa, weil es sich schön anfühlt, eher weil sie sich taub anfühlt und es mich daran erinnert, wie ich mich selbst oft fühle: Taub.
Als Wyatt meine Anwesenheit und die Röte auf meinen Wangen bemerkt, grinst er mich an. In diesem Moment sieht er eindeutig noch besser aus. Ich schmelze bei seinem Anblick förmlich dahin. Am liebsten würde ich mich selbst ohrfeigen, allerdings würde ich dadurch bestimmt noch abgedrehter wirken, als ohnehin schon.
Ich drehe mich um und gehe wieder ins Wohnzimmer. Kurz danach kommt Wyatt zu mir ins Wohnzimmer und erklärt mir, dass Elizabeth sofort kommen wollte, er sie aber überredet hat, wenigstens noch ihre Klausuren zu schreiben und am Wochenende zu kommen. Wyatt wollte sichergehen, dass ich Zeit habe, mich einzugewöhnen.
Daneta
»Du kennst 'Eine Frage der Ehre' nicht? Das ist der beste Film überhaupt.« Wyatt sieht mich an, als wäre ich nicht ganz dicht.
Ich zucke mit den Achseln. »Bis vor kurzem habe ich im Kinderheim gelebt ohne Fernseher und Geld für Kino war auch nicht drin.«
Wyatt wird blass und fährt sich durch die Haare. »Tut mir leid…«
Ich winke ab. »Schon gut, macht mir nichts.«
Wyatt nickt mir anerkennend zu »Das habe ich schon gemerkt. Es ist erstaunlich, wie reif du bist und wie wenig du den ganzen Mist an dich heranlässt. Du bist echt eine Kämpferin.«
Ich lächele. »Ja, das ist mir auch aufgefallen.«
Wyatt und ich schauen den Film gemeinsam und ich stelle fest, dass es wirklich ein toller Film ist.
Wenn Wyatt arbeitet, hänge ich den ganzen Tag alleine im Haus ab. Ich will mich erkenntlich zeigen, deshalb putze ich und koche. Zumindest versuche ich zu kochen. Mein Lieblingsessen Nudeln bekomme ich gerade noch hin, bei der Soße hört es dann schon wieder auf. Aber eigentlich brauche ich auch keine Soße. Nudeln reichen mir und ich habe schon weit schlechter gegessen. Wyatt zu liebe, probiere ich mich dann aber doch an einer Soße. Er verzieht nur leicht das Gesicht beim Essen, insofern ist es wohl nicht so schlimm. Anschließend macht er den Abwasch und ich schmachte ihn dabei an. Das tue ich schon, seit ich hier angekommen bin und jeder Versuch es zu lassen, scheitert kläglich. Dieser Mann ist ein Traum, im wahrsten Sinne des Wortes und hat es geschafft meine Libido zu wecken, von der ich nicht dachte, dass sie existiert. Zu meinen Albträumen, sind nun auch noch Sexträume hinzugekommen, mit Wyatt in der Hauptrolle. Nach jeder heißen Nacht mit Wyatt, trete ich ihm am Morgen knallrot gegenüber und hoffe, dass er es nicht bemerkt.
Wyatt dreht sich um und erwischt mich dabei, wie ich ihn anstarre.
Er grinst. »Das muss dir nicht peinlich sein. Du bist ausgesprochen hübsch, wenn du verlegen bist.«
Ich werde noch verlegener. »Liest du meine Gedanken?«
Wyatt zuckt mit den Schultern. »Manchmal.«
Dann trocknet er sich die Hände ab und kommt zu mir an den Küchentresen. »Du redest ja auch nicht mit mir«, stellt er fest.
»Ich rede doch«, brumme ich und senke den Blick.
»Nicht über die wichtigen Dinge«, bemerkt Wyatt.
Ich zucke mit den Schultern. »Du hast mir auch noch nichts erzählt.« Wyatt nickt. »Morgen kommt Lizzy und dann reden wir.«
Nervös laufe ich im Wohnzimmer auf und ab und warte auf die Ankunft von Elizabeth. Ich weiß nicht, was mich erwartet, aber ich fühle mich Unsicher. Das gefällt mir gar nicht.
Wyatt wirft mir einen amüsierten Blick zu. »Keine Panik, Lizzy beißt nicht, zumindest nicht absichtlich.« Wyatt lacht über seinen eigenen Scherz.
Als die Tür aufgeht, springt er auf und versperrt mir die Sicht auf die Frau, die er fest umarmt und herumwirbelt. Als sie sich voneinander lösen, kann ich mir Elizabeth genau ansehen. Ich habe das Gefühl, ich hätte einen Schlag in die Magengrube erhalten. Ich habe noch nie eine so schöne Frau gesehen. Wenn ich mich vorher schon unzulänglich gefühlt habe, dann jetzt erst recht. In dem Augenblick, als ich in ihre eisblauen Augen sehe, spüre ich keine Unsicherheit oder Nervosität mehr, ich spüre Stärke und Entschlossenheit. Sie kommt schnellen Schrittes auf mich zu und schließt mich so fest in die Arme, dass ich kurz nicht atmen kann. Tränen laufen ihr über die Wangen. Ich hebe eine Hand und wische ihr die Feuchtigkeit aus dem Gesicht. Mit Tränen bin ich noch nie gut klargekommen. Ich weine selbst nie und weiß auch nicht, was mir andere Menschen damit sagen wollen. Freuen sie sich? Oder eher nicht? Tränen sind ein Paradebeispiel für die Verworrenheit menschlicher Interaktion. Ich drücke mich lieber unmissverständlich aus.
Elizabeth sieht mich einen Moment lang liebevoll an, dann dreht sie sich zu Wyatt um. »Du hast recht, schön ist gar kein Ausdruck für sie.« Das sagt die Richtige.
Elizabeth lacht, als sie sich wieder zu mir umdreht. »Mit diesem Aussehen, sorgst du sicher für einigen Wirbel bei den Männern.«
Ich werfe einen Blick auf Wyatt und er grinst.
Schnell schaue ich weg. »Ich äh…«, stammele ich. »Ich weiß nicht. Ich glaube eher nicht.«
Wieder werfe ich einen Blick auf Wyatt, der ungläubig den Kopf schüttelt. Seit Tagen hoffe ich, dass er Interesse an mir zeigt. Ich kann und will hier nicht weg gehen, ohne dass er mich bemerkt.
»Dem letzten Mann der mich bemerkt hat, habe ich die Nase gebrochen.« Ich zucke mit den Schultern und Wyatt und Elizabeth lachen.
Wir setzen uns hin und Wyatt und Elizabeth sehen mich ernst an. Nun ist die Stunde der Wahrheit gekommen.
»Woran erinnerst du dich?«, fragt Elizabeth.
Ich atme tief durch. »Braune Augen die mich verfolgen, Schmerzen, Blut und ich habe das hier.«
Ich stehe auf und ziehe meine Hose runter. Ich zeige auf die wulstige Narbe auf meinem Oberschenkel und danach ziehe ich meinen Slip ein Stück runter. Ich zeige auf die Narbe auf meinem Venushügel. Elizabeth laufen Tränen die Wangen hinunter und Wyatt ballt die Hände zu Fäusten. Elizabeth sieht mich einen Moment lang an und dann erzählt sie mir die ganze Geschichte.
Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber die Wahrheit ist schlimmer. Ich muss an den Film Eine Frage der Ehre denken und das bekannte Zitat: »Sie können die Wahrheit doch gar nicht ertragen.« Es stimmt, ich vertrage die Wahrheit nicht. Am liebsten würde ich mich wieder in die Hoffnungslosigkeit zurück nach Hopeful flüchten und das alles vergessen. Ich wurde vergewaltigt, misshandelt und all das wurde auch noch gefilmt und verkauft.
Lou
Das gefällt mir nicht, Mint. So wie du, du gefällst mir auch nicht. Aber im Moment meine ich eher Daneta. Sie spaziert außerhalb der Sicherheitszone umher. Weißt du das schon, Mint? Aber selbst wenn, begibst du dich doch nicht in die Höhle des Löwen, oder?
Ich habe nur ein einziges Mal mit Wyatt und Beth gesprochen, trotzdem weiß ich, dass Daneta bei ihnen in Sicherheit ist. Mehr als das: Sie ist am richtigen Ort. Die beiden waren noch Kinder als ich die Gelegenheit hatte, mit ihnen zu sprechen und schon damals hätten sie alles getan, um meine Kleine zu beschützen, obwohl sie selbst furchtbar gelitten haben. Das wirst du nie verstehen, du mieser Wichser.
»Hörst du mir überhaupt zu?« Die Stimme meines Vorgesetzen Chase Fulton, genannt Ful, reißt mich aus meinen Gedanken.
»Ja, ich habe dich gehört, Ful«, lüge ich.
Ful schüttelt den Kopf. »Ich habe den Eindruck, du bist nicht ganz bei der Sache.«
Ist dir das auch schon aufgefallen, ja?
Natürlich bin ich nicht bei der Sache. Meine Tochter hat gerade den einzigen Ort auf der Welt verlassen, an dem sie sicher vor ihm war, um nach Antworten zu suchen, die sie gar nicht hören sollte. Zumindest noch nicht jetzt. Zu allem Überfluss kann ich die eine Sache nicht beenden, die mich daran hindert meinem Kind ein Vater zu sein. Zu sagen, ich wäre nicht bei der Sache, beschreibt es nicht mal annähernd. Aber davon weiß Ful ja nichts. Wobei er zumindest etwas ahnt.
»Ich krieg das schon hin«, lüge ich erneut, da ich immer noch keine Ahnung habe, wie zur Hölle ich das wieder hinkriegen soll.
»Du bist zu nah dran. Ich sollte dich abziehen«, meint Ful.
Vielmehr hätte er mich damit gar nicht erst beauftragen dürfen. Damals hielt er das sicher für eine gute Idee, weil er nicht alles wusste. Hätte er nur den Hauch einer Ahnung, welcher Natur die Beziehung von mir zu dir wirklich war, hätte er mich nie damit beauftragt. Obwohl ich damals genau der richtige Mann für den Job war. Ich hatte die richtige Motivation, zu tun was nötig war. Zumindest solange, bis du mich erneut bei den Eiern hattest. Ich hätte Ful gerne gesagt, dass ich den Fall abgebe. Aber wie immer, habe ich nicht wirklich viele Möglichkeiten, es besser zu machen. Deinetwegen, Mint – es ist immer nur deinetwegen, du mieser Wichser.
»Wie gesagt, ich kriege das hin«, erwidere ich knapp.
»Wie ist es gelaufen«, fragst du, als ich bei dir eintreffe.
»Es läuft alles nach Plan«, antworte ich ausweichend.
Nach wessen Plan es läuft, lasse ich offen. Meiner ist es bestimmt nicht. Du nickst und streichst mir mein Haar aus der Stirn.
Ich schlage deine Hand weg. »Fass mich nicht an«, zische ich.
Du folgst meiner Hand mit den Augen und presst missbilligend die Lippen aufeinander. Hast du wirklich gedacht, ich würde deinen Ring noch tragen, du fieser Wichser?
Du schenkst mir ein amüsiertes Lächeln. »Früher hast du darum gebettelt, von mir berührt zu werden.«
Ich zeige drohend auf dich. »Du warst derjenige, der gebettelt hat.« Du zuckst mit den Schultern. »Stimmt auch wieder.«
Wieder schenkst du mir dieses Lächeln. Ich wünschte du würdest damit aufhören. Wieso siehst du überhaupt noch so gut aus? Du bist bald verfickte vierundvierzig Jahre alt und solltest auch so aussehen. Badest du in dem Blut von Babys oder wie machst du das? Ich wende meinen Blick ab und sehe an die Wand hinter dir. Wie bei einem aggressiven Hund, dem man besser nicht in die Augen sieht. Nur das ich der aggressive Hund bin und du der verdammte Knochen, zu dem es mich immer noch hinzieht. Wie machst du das bloß?
Ich kann sie nicht länger hinhalten«, stellst du klar und wechselt damit zum geschäftlichen Teil.
»Ich weiß«, gebe ich zurück. »Ich kümmere mich darum.«
Ich wende mich zum Gehen, als du meinen Namen rufst.
Ich drehe mich wieder um.
»Wie geht es Mac?«, fragst du.
Alarmiert verspanne ich mich. »Wieso willst du das wissen?«, frage ich misstrauisch.
Ich suche dein Gesicht nach verräterischen Zeichen ab, dass du längst Bescheid weißt.
Du legst den Kopf schief, als du mich ansiehst. »Du hast sie geschickt außerhalb meiner Reichweite untergebracht, wie es jeder gute Vater tun würde. Ich bin nur neugierig, wie es ihr ergangen ist.«
»Den Umständen entsprechend«, antworte ich ausweichend.
Wenn du wüsstest, dass Daneta außerhalb der Sicherheitszone umherspaziert, wäre das gar nicht gut. Besonders dann nicht, wenn du erfährst, mit wem sie aktuell Kontakt hat.
Ich bin schon halb an der Tür, als du mich erneut rufst.
Ich drehe mich wieder um und sehe, dass du grinst. »Du hast übrigens nie besser ausgesehen, als jetzt. Im Ernst, sieh dich nur an! Als würdest du nur aus Muskeln bestehen.« Ich zeige dir den Mittelfinger und verschwinde aus deinem Haus, um so viel Abstand zwischen dir und mich zu bringen, bevor du mich wieder einwickelst. Darin bist du schon immer ein Meister gewesen.
...
© Lisa Lee
Lust auf mehr? Veröffentlichung Quartal II/III 2024.