Leseprobe: Wishes of the Jinn

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Kapitel Eins

Nael

Vorsichtig trete ich an das Bett heran und strecke die Hand aus. Bevor ich seine Schulter berühren kann, zucke ich zurück. Stattdessen schiebe ich meine Hände in die Hosentaschen. „Dad … willst du nicht aufstehen?“

Ich schüttele den Kopf wegen dieser blöden Frage. Natürlich will er nicht aufstehen, sonst hätte er es längst getan.

Einen Monat geht das schon so – dreißig Tage, in denen mein Vater kaum ansprechbar war. Ich habe sogar das Gefühl, es wird mit jedem weiteren Tag, der vergeht, schlimmer.

Mit gerunzelter Stirn betrachte ich den Mann vor mir auf dem Bett. Er liegt mit dem Rücken zu mir und starrt aus dem Fenster.

Ich erkenne meinen Vater, Majid Almasi nicht wieder. Bis vor einem Monat war er stark und nun scheint es, als wäre jegliches Leben aus ihm gewichen. Er baute immer mehr ab, seit meine Mutter Naisa Almasi aus unserem Leben verschwunden ist. Majid spricht nicht mit mir darüber – er spricht mit niemandem darüber. Ich weiß nicht, was passiert ist, dass Naisa uns verlassen hat. Sie war eine liebende Mutter, die eines Tages nicht mehr nach Hause kam. Seither baut Majid immer mehr ab und ich weiß nicht, was ich tun soll.

„Dad …“, beginne ich wieder und stehe immer noch verloren vor dem Bett. Ich ziehe meine Hände aus den Hosentaschen und trete einen Schritt näher an Majid heran. Zögerlich strecke ich die Hand aus und berühre meinen Vater an der Schulter. Sobald meine Fingerspitzen seinen Körper berühren, zucke ich zusammen, weil ein heftiger Schmerz durch meinen Kopf schießt, wie jedes Mal, wenn ich Majid berühre.

„Was willst du, Nael?“, brummt mein Vater, dem meine Berührung nicht mal aufgefallen ist.

Nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen. „Ich dachte, wir könnten etwas zusammen essen?“

Majid seufzt. „Ich habe keinen Hunger.“

„Du musst aufstehen“, verlange ich und verschränke die Arme vor der Brust. „Dad … los jetzt.“

„Ich muss gar nichts!“, donnert er. Seine Stimme hat einen grollenden Ton angenommen, und ich spüre, wie der Boden unter meinen Füßen zu beben beginnt.

Beschwichtigend hebe ich die Hände, obwohl er mich nicht sehen kann, weil er immer noch mit dem Rücken zu mir liegt. „Schon gut … kein Grund, gleich das Haus niederzureißen.“

Noch eine Weile stehe ich im Schlafzimmer meiner Eltern und betrachte den schwachen Mann vor mir im Bett.

„Geh!“, fordert mein Vater und das Licht an der Decke schaltet sich ein. Es beginnt zu flackern, und ich gehe langsam rückwärts auf die Tür zu.

Schnell schlüpfe ich nach draußen und bringe so viel Abstand zwischen meinen Vater und mich, wie ich kann, bevor er wirklich das Haus in Schutt und Asche legt. Ich weiß nicht, wieso ich immer noch versuche, ihn zum Aufstehen zu bewegen. Er hört doch nicht auf mich. Das Einzige, das er immer wieder deutlich macht, ist, wie schnell er wütend wird und wie wenig er sich im Griff hat.

Ich gehe in das Esszimmer, in dem unsere Haushälterin Ranja mit dem Essen auf mich wartet. Fragend sieht sie mich an, aber ich schüttele den Kopf und setze mich an den Tisch. Mitleidig verzieht sie das Gesicht, bevor sie sich schließlich zu mir setzt, um gemeinsam mit mir zu essen.

Ich habe noch nicht mal aufgegessen, da tritt ein Geschäftspartner meines Vaters Sani ins Zimmer, wie immer gut gekleidet, in einem dunkelgrauen Anzug, der sicher viel gekostet hat. Genau weiß ich es nicht, ich mache mir nicht viel aus Kleidung. Solange ich nicht nackt bin, ist es mir egal, was ich trage. Im Augenblick habe ich ein fleckiges, schwarzes Shirt und eine verblichene, löchrige Jeans an, was Sani gar nicht gefällt. Abwertend mustert er mich von oben bis unten, in der Hand einen Aktenkoffer.

Ich wende meinen Blick ab und genieße weiter mein Essen.

„Dein Vater?“, fragt er.

„Siehst du doch: nicht da.“ Ich mache eine ausholende Geste mit einer Hand, um zu verdeutlichen, dass mein Vater nicht am Tisch sitzt, was Sani sehr genau sieht und doch nervt er mich mit Fragen.

„Wieso ist er nicht hier, Nael?“, fragt Sani nun.

Stöhnend wende ich ihm meinen Kopf wieder zu. „Was denkst du wohl?“

Er wendet sich an die Haushälterin. „Ranja, lass uns kurz allein.“

Ich schüttele den Kopf, weil sie nicht mal aufgegessen hat, aber sie kommt Sanis Aufforderung nach. Ranja erhebt sich, nickt mir einmal kurz zu und huscht schnell aus dem Raum.

„Du hattest nur eine Aufgabe“, informiert mich Sani. „Wir brauchen deinen Vater.“

Ich zucke mit den Schultern. „Ihr kommt sicher auch mal ohne ihn aus.“ Kurz mustere ich Sani und weiß nicht, ob das stimmt, weil ich nicht genau weiß, was mein Vater beruflich macht. Ich weiß nur, dass wir reichlich Geld haben und viele Leute in unserem Haus ein und aus gehen: Hauptsächlich Mitarbeiter von Majid, aber seit einem Monat haben wir auch Köche, Haushälter und Reinigungskräfte, weil mein Vater nicht mehr in der Lage ist, seine Aufgaben wahrzunehmen. Und ich … ich bin nicht, wie er, obwohl ich darauf gehofft habe. Ich sollte nicht mehr hier sein. Bis vor einem Jahr habe ich bei Pflegeeltern gelebt, bis meine Eltern mich plötzlich abholten. Und vor einem Monat, als mein Vater immer schwächer wurde, wurde ich stärker. Plötzlich passierten seltsame Dinge um mich herum, besonders wenn ich wütend bin.

„Das hier ist kein Witz!“, zischt Sani mir zu.

„Siehst du mich lachen?“, frage ich, weil ich es kein bisschen lustig finde, allein zu sein.

„Frecher Bengel.“ Sani schüttelt den Kopf, tritt auf mich zu, öffnet seinen Aktenkoffer und zieht einen Stapel Fotos heraus. Er legt ihn vor mir nieder und ich gehe ihn durch. Auf jedem Bild ist ein Mädchen oder ein Junge zu sehen und einige bei denen ich nicht weiß, ob Junge oder Mädchen. Manche blond, andere mit braunen Haaren, grüne Augen, dunkle Haut, dicke Körperformen, Schönheitsmakel – es ist jede Form und Farbe dabei, die ein Mensch annehmen kann.

„Was gefällt dir?“, fragt Sani.

Verdutzt schaue ich zu ihm auf. „Ich bin vierzehn Jahre alt.“

Niemand gefällt mir. Ich schaue Menschen nicht auf diese Weise an, weil ich andere Sorgen habe.

„Konzentriere dich, verdammt nochmal“, herrscht Sani mich an. „Du hast keine Ahnung, was auf dem Spiel steht.“

Ich weiß wirklich nicht, wovon er redet, aber ehe ich darüber nachdenken kann, hat er mich am Arm in den Stand gezerrt. Wütend reiße ich mich los. Die Wassergläser auf dem Tisch zerspringen. Sani wirft einen Blick auf das Wasser, das sich auf dem Tisch ausbreitet, und nickt anerkennend. „Damit können wir arbeiten.“

Kapitel Zwei

Cosmo

„Du siehst furchtbar aus!“ Meine beste Freundin Casima zeigt mit dem Finger auf mich und lacht. „Du solltest dich mal ansehen.“ Ihre Stimme ist sehr hoch. Auch wenn sie normal spricht, klingt es, als würde sie kreischen.

„Ha ha“, entgegne ich auf ihren Witz hin. Sie weiß genau, dass ich mich nicht im Spiegel anschauen kann. Das heißt, ich kann es schon, denn anders als viele Leute denken, tötet es mich nicht – zumindest nicht in meiner menschlichen Form. Aber ich war ein paar Stunden bewusstlos, als ich wissen wollte, wie ich eigentlich aussehe.

Casima winkt ab. „Mach dir keine Sorgen, du bist ein hübscher Junge. Blondes Haar und ein freundliches Lächeln.“

„Stimmt das denn?“, harke ich nach, weil meine beste Freundin mir schon mal erzählt hat, ich hätte ein Geburtsmal im Gesicht, was nicht stimmt, wenn ich meinen Verbündeten Glauben schenken darf. Ich schaue mich im Speisesaal unseres Bündnisses ‚Fableskins‘ um, in dem alle Fabelwesen, die hier leben, gemeinsam zu Mittag essen. Wir alle hier sind Umwandler, Converter genannt. Halb Mensch und Fabelwesen können wir uns in beides verwandeln oder konvertieren. Wir sind gleich und doch verschieden. Und ich bin sehr verschieden, weil hier von meiner Art nur zwei Exemplare leben. Niemand hier kennt meine oder die Augenfarbe meines Vaters, weil sich keiner traut, uns in die Augen zu schauen. Außer Casima, aber auch erst, seit sie weiß, dass ich mich im Griff habe. Nur was mich selbst angeht, kann ich mir trotzdem nicht ins Gesicht sehen. Unsere größte Schwäche sind wir selbst.

Sie tippt sich ans Kinn. „Verrate ich dir nicht.“

„Manno“, murre ich. „Du bist so fies.“

„Ich sage dir, was fies ist“, wirft sie ein. „Schalldichte Räume.“

„Schaffst du es immer noch nicht?“, frage ich mitfühlend.

Casima schüttelt den Kopf. „Weißt du, wie schwer es ist, mit der Stimme genau diesen einen Ton zu treffen?“

Das weiß ich nicht, was ich aber weiß, ist, dass jeder von uns auf seine ganz eigene Weise Schwierigkeiten hat. Das unerkannte Leben unter Menschen erfordert viel Arbeit – Arbeit, die nicht alle beherrschen. So wie meine beste Freundin. Ihr Schrei könnte einen Menschen töten, und sie hat Angst vor Spinnen. Wann immer ihr eine begegnet, schreit sie, aber sie trifft die richtige Tonhöhe nicht, weshalb die Spinnen nur vor ihrer grausigen Stimme davonlaufen.

Ihre Eltern lassen sie in einem schallisolierten Raum üben, damit sie nicht versehentlich jemanden tötet, der von draußen zufällig vorbeigeht.

Ich habe solche Probleme nicht, weil ich von den Besten gelernt habe. Mein Vater Jair trainiert mich seit meiner Kindheit und bereitet mich auf meine Aufgabe vor. Die wichtigste Lektion, die ich lernen musste, war, welchen Einfluss Gefühle haben. Meine Fähigkeiten habe ich das erste Mal gespürt, als ich als Kind einen Wutanfall hatte – Wut ist entscheidend. Kannst du deine Kräfte unter Wut kontrollieren, beherrschst du sie vollkommen.

Plötzlich spüre ich, wie die Fableskins im Raum unruhig werden.

„Was ist los?“, fragt Casima den vorbeieilenden Kyle, ein Goblin-Con, also ein Mensch, der sich in einen Goblin umwandeln kann.

„Er kommt zurück“, keucht der Converter und eilt weiter.

Ich schnaube. „Wie soll das denn gehen?“

Alle Fableskins leben im Bündnis friedlich zusammen und so, dass sie andere Converter oder gar Menschen nicht gefährden. Die mächtigsten Wesen, die hier leben, sind Dschinns. Sie sind so stark, dass sie zu ihrem und dem Schutz von anderen spezielle Gefäße bewohnen, weil sie nur durch die Kraft ihrer Gedanken die ganze Welt niederbrennen könnten und zudem noch sehr launisch und leicht reizbar sind. Dschinns sind durch und durch boshafte Wesen.

Vor etwa einem Jahr aber hat es ein Dschinn geschafft, sich aus seinem Gefäß zu befreien und ist mit seiner Frau, einer Fee, geflohen. Er fühlte sich überlegen und machte sich die Menschen untertan. Unser Bündnis versuchte, ihn zu stoppen, aber der Dschinn sah jeden Angriff voraus. Nur mit seinen Gedanken konnte er jeden um sich herum beeinflussen.

Ein Berggeist-Con den wir zu unserem Bündnis zählen, kam nah genug heran. Durch seine Widersprüchlichkeit, schaffte er es, den Dschinn zu verwirren. Es reichte aber nur, um die Frau des Dschinns zu entführen. Die Fee ist unsere Gefangene und dadurch ist der Dschinn machtlos.

Was viele über die Geist-Cons nicht wissen, ist dass ihre Macht erst durch die Liebe erwacht und nur durch sie können, sie sie kontrollieren. Nimmt man ihnen ihren Anker, reduzieren sich nach und nach die Kräfte des Dschinns und das bisschen, über das er verfügt, kann er nicht mehr kontrollieren. Wie ein Converter unter Wut sind Dschinns nur noch Opfer ihrer Gefühle. Soweit ich weiß, haben wir die Fee immer noch in unserer Gewalt, wie der Dschinn zurückkommen will, um uns anzugreifen, ist mir ein Rätsel.

Aber es muss etwas passiert sein, sonst wären die Converter nicht so nervös. Das Stimmengewirr nimmt überhand und selbst Casima verzieht das Gesicht, obwohl sie viel schlimmer klingt.

„Freunde!“ Mein Vater Jair erhebt die Stimme. „Freunde, ich bitte euch, bitte seit leise.“

Die Converter werden nur noch lauter, bis ein Schrei durch den Raum hallt, als würden Fingernägel über eine Tafel kratzen. Ich stöhne auf und halte mir die Ohren zu, genau wie die Anderen im Raum, mit Ausnahme der Banshees, wie meine beste Freundin. Sie grinst mich an und ihre Mutter Freya, die den Schrei ausgestoßen hat, zwinkert ihr zu.

„Gerüchte machen die Runde“, beginnt mein Vater wieder. „Uns ist zu Ohren gekommen, dass der Dschinn einen Sohn hat, der seine Eltern rächen will.“

Die Converter im Raum schnappen nach Luft, weil das eine Katastrophe ist. Ein Dschinn, der mit einer Fee ein Kind hat? Wir paaren uns nur mit unseresgleichen oder mit Menschen, weil die Gefahr zu groß ist, dass ein Kind von zwei verschiedenen Convertern beide Fähigkeiten übernimmt und dadurch eine Macht erlangt, die nicht beherrschbar ist.

Auch deshalb war der Dschinn in seinem Gefäß gut aufgehoben, weil sie sich dort nicht fortpflanzen können. Wie genau das funktioniert, weiß ich nicht, mein Vater hat dieses Wissen nicht mit mir geteilt und ich habe auch nicht nachgefragt. Ich halte mich von den Dschinns fern, seit mein Patenonkel einem zum Opfer gefallen ist. Kiran starb vor einem Jahr, als der Dschinn mit einigen anderen Convertern geflohen ist.

„Dann ist das Kind gerade ein paar Monate“, wirft ein Kobold-Con ein. „Genug Zeit, ihn zu beseitigen.“

Bei dem Gedanken, ein Baby zu beseitigen, wird mir schlecht.

Ich sehe, wie mein Vater sich nervös am Kinn kratzt. „Der Dschinn und die Fee haben ein Kind bekommen, bevor sie zu uns gekommen sind.“

Ein Aufschrei geht durch den Raum. Ein Kind von einem Dschinn und einer Fee könnte alle Fähigkeiten in sich vereinen. Neben den Fähigkeiten eines Dschinns besteht die Möglichkeit, dass er fliegen kann, die Zukunft voraussehen, sich unsichtbar machen und Elemente beeinflussen. Allerdings könnte er auch nur eins von beidem haben, oder keins. Solch traurige Menschen gibt es auch. Sie haben die Erbanlagen von Convertern, aber sie sind nicht aktiv. Sie werden sich nie verwandeln können. Bei zwei Convertern jedoch … es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn der Sohn keine der Fähigkeiten seiner Eltern geerbt hat.

„Wie alt ist er?“, frage ich Jair.

„Die Fee weigert sich zu reden, aber den Gerüchten zufolge irgendwo zwischen zehn und fünfzehn Jahren alt“, antwortet Jair.

„Dann hat er sein Gegenstück bestimmt noch nicht“, werfe ich ein, weil Dschinns ohne ihr Puzzleteil keine Macht haben. Dieser eine Partner ist der Schlüssel und wenn sie ihn oder sie nicht finden, sind sie nichts weiter als Menschen, die ein paar Zaubertricks beherrschen.

„Aber er sucht danach“, antwortet Jair.

Im Raum wird es totenstill. Wir wissen alle, was das bedeutet: Wenn der neue Dschinn seine Liebe findet, ehe wir ihn finden, haben wir keine Chance mehr. Er wird uns angreifen, seine Mutter befreien und seinen Vater zu alter Stärke verhelfen.

 

 

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