Ja, ich weiß… Wieso ist ‚Trügerischer Durchblick‘ immer noch nicht erschienen? Die Antwort ist einfach: Cakepops. Letzte Woche ging es um Brokkoli und diese Woche um Cakepops? Und nein, ich bin nicht süchtig nach Cakepops und auch immer noch nicht nach Brokkoli. Vielmehr habe ich für die Hochzeit meiner lieben Freundin 120 Cakepops gebacken. Na ja, es waren ursprünglich 120 Stück. Meine Jungs haben mir beim Verpacken geholfen und da ist der eine oder andere Cakepop mal in einen Kindermund gewandert. Und mein Mann versteht unter Hilfe, hin und wieder kurz in die Küche reinzuschneien und etwas Essbares mitgehen zu lassen. Wirklich, er leckt sogar die Rührschüssel aus. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass meine Kinder das weniger gut finden. Aber ich habe die restlichen Cakepops mit meinem Leben verteidigt und bestimmt 100 Stück vor meiner Männerbande retten können.
Habt ihr mal Cakepops gebacken? In der Zeit hätte ich locker sechs Kuchen backen können. Während ich gefühlte sechs Kuchen gebacken habe, blieb leider anderes liegen. Und mit anderes meine ich ‚Trügerischer Durchblick‘.
Ich gelobe Besserung. Die nächste Woche werde ich keine Cakepops backen – versprochen. Allerdings hat mein mittlerer Sohn ein Fest in der Kita und ich melde mich immer freiwillig, wenn in der Schule oder der Kita Kuchen gebraucht wird. Allerdings keine Cakepops mehr – nie wieder Cakepops. Wobei mein Ältester beim Verpacken der Cakepops gefragt hat, ob er zu seinem Geburtstag auch welche haben kann… Ich hoffe, er hat einen Scherz gemacht, sonst muss ich leider zum Wiederholungstäter werden.
Diese Woche ist aber nur ein Kuchen geplant. Der geht doch ganz schnell… Einer sind ja nicht sechs.
Damit dürfte ich genug Zeit für ‚Trügerischer Durchblick‘ haben. Viel ist da nicht mehr zu tun: Korrekturschleifen, Layout, Cover… Gut, doch noch eine ganze Menge zu tun, aber ich halte mich ran.
Um über die Wartezeit hinweg zu trösten, habt ihr hier zwei ausgewählte Kapitel aus dem Buch. Und keine vom Anfang, sondern mittendrin, mit extra viel Spannung. Viel Spaß und bis nächste Woche.
Wer bist du, Lyra?
Tanner
Geradezu fluchtartig habe ich dein Haus verlassen und brauche einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen.
Im Ernst: Wer bist du? Schon mein Leben lang lese ich in Menschen wie in Büchern. Irgendwann habe ich angefangen, das gefühlsgeleitete Verhalten von Menschen zu analysieren. Aber bei dir, Lyra, habe ich gar nichts gesehen. Es war, als wärst du tot. Da ist nichts, was ich analysieren könnte. Ich frage mich, was du empfindest? Ich konnte dich nicht lesen und habe es nicht geschafft, dich zu erkennen. Dich zu fühlen. Deine Gefühle zu sehen. Bist du wie ich?
Meiner Sinne beraubt, habe ich orientierungslos in deinem Gesicht nur dein aufgesetztes Lächeln gesehen. Wieso konnte ich dich nicht spüren?
Hast du gedacht, du wärst eine gute Schauspielerin und es würde niemandem auffallen, dass du nicht ganz normal bist? Mir ist es aufgefallen, Lyra. Ich habe sofort bemerkt, dass du nicht ehrlich bist. Ich weiß, nur noch nicht genau, was du hinter dieser Maske verbirgst.
»Und?«, fragt Janet.
Ich antworte nicht, weil ich nicht weiß, was ich meiner Frau sagen soll.
Unruhig rutsche ich auf dem Beifahrersitz hin und her. Um zu verdeutlichen, dass ich nicht reden will, schaue ich aus dem Fenster. Schweigend fahren wir nach Hause und ich versuche vergeblich nicht an dich zu denken.
Ich musste keine Sekunde überlegen, ob ich Sex mit dir haben will. Es ist so. Ich muss dich spüren. Ich will dich aufknacken, um an dein Innerstes zu kommen. Will dein Innenleben analysieren und sehen, ob du genauso bist wie ich.
Ist das noch normal? Ich soll dich kennenlernen und deine Schwächen herausfinden – herausfinden, wie wir dich zerstören können. Aber es erschreckt mich, wie sehr ich dich kennenlernen will. Es macht mir Angst, wie sehr ich mich für dich interessiere. Kann ich dich noch zerstören, wenn ich erst einen Blick in dich hineingeworfen habe? Will ich das dann überhaupt noch?
Janet stößt mich mit dem Ellenbogen an und erst jetzt bemerke ich, dass wir zu Hause angekommen sind.
Mein großer Bruder Talon erwartet mich bereits.
»Du sollst nicht bei mir einbrechen«, tadele ich ihn und Talon hält mir grinsend seinen Schlüssel unter die Nase, um zu verdeutlichen, dass er nicht eingebrochen ist. Ich gehe an ihm vorbei und hole mir ein Bier aus dem Kühlschrank.
»Jetzt erzähl schon«, fordert Talon ungeduldig.
Janet gegenüber kann ich mauern, aber Talon lässt mich damit unter keinen Umständen durchkommen. Ich überlege, was ich ihm sagen soll, als Janet mir zuvorkommt.
»Ihr Mann wird leichter zu knacken sein, als sie«, erzählt Janet. »Lyra ist… irgendetwas an ihr ist merkwürdig.«
Autsch! Merkwürdig? Wirke ich auch so auf die Menschen?
»Was genau meinst du mit merkwürdig?«, fragt Talon
Janet zuckt mit den Schultern. »Sie ist freundlich und wirkt total nett. Aber es wirkt irgendwie nicht echt.“ Janet überlegt einen Moment lang, ehe sie weiter fortfährt: „Erinnerst du dich daran, als du für Tanner einen Kuchen zum Geburtstag gebacken hast und er ihn nicht mochte. Menschen, die Tanner nicht kennen, wären wohl auf sein Lächeln reingefallen, aber nicht wir beide.«
Dieser verdammte Kuchen. Eigentlich gebe ich mir keine große Mühe, so zu tun als ob, aber an meinem letzten Geburtstag habe ich plötzlich so etwas wie Mitgefühl empfunden: Mein Bruder hat mir einen Kuchen gebacken. Aber da er nicht besonders gut backen kann, hat er furchtbar geschmeckt, aber ich wollte seine Gefühle nicht verletzten. Also habe ich zum ersten Mal in meinem Leben so getan als ob. Ich habe ein Lächeln aufgesetzt und Talon und Janet vorgegaukelt, der Kuchen wäre lecker. Scheinbar nicht sehr überzeugend.
»Ja, aber das war leicht«, meint Talon schmunzelnd, »weil Tanners Lächeln nie richtig ernst gemeint ist.«
»Hey«, beschwere ich mich. »Ich lächele schon auch ernsthaft.«
Ich überlege, aber mir fällt kein gutes Beispiel ein. Eher überhaupt keins.
»Du willst also behaupten, Lyra ist wie Tanner?«, fragt Talon.
»Nein«, antwortet Janet und schüttelt lachend den Kopf. »Ich denke, sie ist viel besser darin, als Tanner. Würde ich Tanner nicht kennen, wäre mir nie aufgefallen, dass Lyra falsch sein könnte. Ich wäre zu hundert Prozent auf sie reingefallen. Aber ich kenne Tanner inzwischen zu lange und zu gut, als das mir die Ähnlichkeit nicht auffallen würde.«
»Sie ist besser als ich in was?«, frage ich. »Darin ich zu sein?«
Wieder lacht Janet. »Ja, na ja, irgendwie schon. Ich schätze, sie hat einfach gelernt, die Menschen um sich herum zu täuschen und du bist einfach du selbst.«
»Darauf wette ich«, knurrt Talon. »Aber wir lassen uns von ihr nicht täuschen. Wir wissen, wen wir vor uns haben. «
Wenn er sich da mal nicht täuscht, aber das behalte ich besser für mich. Wenn du bist, wie ich und darin auch noch besser bist, als ich, weiß ich nicht, wie wir dich zur Strecke bringen sollen. Ich muss dringend herausfinden, was du hinter diesem aufgesetzten Lächeln verbirgst. Ich muss in Erfahrung bringen, wie ich dein Leben zerstören kann, wie ich es zu Ende bringen kann, damit wir weiterleben können. Wie werfe ich dich um, ohne mich von dir umwerfen zu lassen?
Wir müssen endlich damit abschließen und zur Ruhe kommen. Talon muss zur Ruhe kommen, aber dafür werde ich schon sorgen. So wie ich es immer getan habe.
Das Netz
Als ich ein Kind war, bin ich öfter im Zirkus gewesen. Da gab es diese Trapezkünstler, die ich immer bewundert habe. Es hat mich beeindruckt, wie diese Menschen in schwindelerregender Höhe solch waghalsige Kunststücke verübten. Eines Tages lud der Zirkusdirektor mich ein, die Manege aus der Nähe anzusehen.
Ich schaute mir alles ganz genau an und plötzlich traf mich der Schlag, als ich meinen Blick nach oben richtete: Direkt über mir war ein Sicherheitsnetz gespannt, welches ich vorher nie bemerkt habe. Ich weiß noch, wie sauer ich damals war. Ich kam mir betrogen vor. Diese mutigen Trapezkünstler gab es in Wirklichkeit gar nicht. Sie wurden rundum geschützt und brauchten nicht mutig zu sein.
Viel mehr beeindruckt hat mich der Mensch, der für das Sicherheitsnetz verantwortlich war. Ich kam mit ihm ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass der Netz-Mann der wahre Held der Geschichte war. Regelmäßig überprüfte er die Beschaffenheit des Sicherheitsnetzes, kontrollierte ob es korrekt befestigt war und klärte ab, ob die Maschenweite und das Material noch dem Sicherheitsstandard entsprachen.
Während die Trapezkünstler turnten, verließen sie sich völlig auf die Kompetenz des Netz-Mannes.
Obwohl das schon über zwanzig Jahre her ist, stehe ich nun wieder in der Manege und suche nach dem Sicherheitsnetz, finde es jedoch nicht. Dabei weiß ich, dass es da ist. Ich weiß sogar, wer das Netz gespannt hat, aus welchem Material es ist, welche Maschenweite es hat und was passiert, sollte es je zur Anwendung kommen.
Was ich nicht weiß, ist, wo es versteckt ist. Ich sehe nur die Trapezkünstler, wie sie vor meiner Nase auf und ab springen. Sie haben keine Ahnung wie viel Glück sie mit diesem Netz haben. Aber das werden sie noch herausfinden, spätestens wenn ich das Netz gefunden und durchtrennt habe…
Was sind optische Täuschungen?
Tanner
»Du hast Lyra vom ersten Moment nicht gemocht«, stelle ich fest. »Erzählst du mir wieso?«
Janet hat Lyra bei jeder sich bietenden Gelegenheit angegiftet, obwohl Eifersucht zwischen Janet und mir noch nie ein Thema war.
»Ich hatte schon mal versucht, es dir zu erklären«, erinnert mich Janet. »Sie ist falsch.«
»So wie ich?«, frage ich.
»Nein, nicht wie du, Tan«, erwidert Janet sanft. »Nachdem ich sie das erste Mal gesehen habe, hat sie mich tatsächlich an dich erinnert. Aber das war ein Trugschluss. Du versteckst es zwar gut, aber du bist warm, liebevoll, verlässlich und herzlich. Lyra hingegen… Sie… Ich weiß nicht mal, wie ich das erklären soll.«
»Probier‘ es«, fordere ich
»Na ja«, beginnt Janet. »Erst habe ich gedacht, ich weiß genau, was ich da sehe, aber dann habe ich festgestellt, dass mein Durchblick trügerisch ist.“
Auf meinen fragenden Blick hin, fährt Janet weiter fort: „Weißt du, was eine Reversionsfigur ist?«
Ich spüre einen Schmerz in der Brust, weil ich automatisch an Lilly denken muss und werfe Janet einen selbstgefälligen Blick zu. »Du weißt schon, dass ich Lehrer bin?«
»Du warst Lehrer«, erinnert mich Janet.
Ich grummele vor mich hin und wechsele das Thema. »Reversionsfiguren werden auch Kippbilder genannt. Das bekannteste ist wohl die Hase-Ente-Illusion. Aber was hat das mit Lyra zu tun?«
»Für Reversionsfiguren gibt es mehr als eine mögliche Wahrnehmung«, erklärt Janet. »Was, wenn das Gleiche für Lyra gilt?«
...
© Lisa Lee
Ihr blickt noch nicht durch? Dann ist euer Durchblick wohl trügerisch. Freut euch auf ‚Trügerischer Durchblick‘ 😊